Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse. atypischer Fall. Ausübung von Ermessen. Verschulden einer anderen Behörde. Rückforderung zu Unrecht gezahlter Beitragszuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung
Leitsatz (amtlich)
Wenn eine Behörde ein Mitverschulden an einer rechtswidrigen Leistungsgewährung trifft, liegt ein sogenannter atypischer Fall vor, der bei der Aufhebung des Verwaltungsakts nach § 48 SGB X die Ausübung von Ermessen erfordert. Das gilt auch, wenn nicht die aufhebende Behörde, sondern eine andere Behörde dieses Verschulden trifft.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 18. Januar 2011 geändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 15. Januar 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 6. Mai 2008 wird betreffend die Zuschüsse zur Krankenversicherung/Pflegeversicherung und der Rückforderung über 5.302,50 EUR aufgehoben.
Die Berufung wird im Übrigen zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für beide Instanzen zur Hälfte zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklage Pflichtbeiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung nachfordern sowie überzahlte Zuschüsse zu den Aufwendungen für die freiwillige Krankenversicherung und Pflegeversicherung zurückfordern durfte.
Die 1930 geborene Klägerin bezieht von der Beklagten eine Altersrente und aufgrund des Todes ihres Ehemanns ... 2007 darüber hinaus eine Witwenrente.
Mit Schreiben vom 19. November 2007 teilte die B... E... (B...) der Klägerin mit, dass bei dieser bis zum 31. März 2002 die Voraussetzungen für eine Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner wegen langjähriger freiwilliger Versicherung nicht erfüllt gewesen seien. Im Hinblick auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 15. März 2000 erfolge jedoch für die Zeit ab dem 1. April 2002 die Pflichtversicherung in der Krankenversicherung der Rentner. Im Rahmen dieser Versicherung seien von der Klägerin Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung zu zahlen, die der Rentenversicherungsträger direkt einbehalten müsse. Hierzu benötige dieser aber eine entsprechende Änderungsmitteilung der Krankenkasse. Durch ein Versäumnis der Kasse sei eine derartige Meldung nicht erfolgt. Die hierfür maßgeblichen Gründe seien nicht mehr nachvollziehbar. Aufgrund dieser fehlenden Änderungsmeldung seien Beiträge nicht abgeführt worden. Die erforderliche Meldung sei jetzt im November 2007 nachgeholt worden. Für das Jahr 2002 erfolge keine Beitragserhebung, da die Beiträge bereits verjährt seien. Es sei bedauerlich, dass es nun zu einer Nachforderung des Rentenversicherungsträgers kommen werde. Hierfür entschuldige sich die B... ausdrücklich.
Die Änderung des Versicherungsverhältnisses wegen der von der B... genannten Gründe erfolgte zunächst durch Bescheid der Beklagten vom 22. November 2007. In der Anlage 10 dieses Bescheides befindet sich ein Anhörungsschreiben, wonach der Zuschuss zur Krankenversicherung nach § 106 Abs. 1 SGB VI und der Zuschuss zur Pflegeversicherung nach § 106a SGB VI zu Unrecht gewährt worden sei, da die Klägerin bereits ab dem 1. April 2002 der Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung unterläge. Es sei daher beabsichtigt, den Bescheid vom 6. Oktober 1998 ab Änderung der Verhältnisse, also mit Wirkung ab dem 1. April 2002, nach § 48 SGB X aufzuheben und die für die Zeit vom 1. April 2002 bis zum 31. Dezember 2007 überzahlten Zuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 5.302,50 EUR nach § 50 Abs. 1 SGB X zurückzufordern.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin Widerspruch ein.
Mit weiterem Bescheid vom 15. Januar 2008 wurde der Rückforderungsbetrag in Höhe von 5.302,50 EUR bestätigt. Darüber hinaus wurden die Eigenbeteiligungen zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von 5.709,81 EUR nachgefordert. Dieser Betrag wurde aufgrund einer Nachzahlung von 955,80 EUR reduziert, sodass sich bezüglich der Eigenbeteiligungen ein Nachforderungsbetrag in Höhe von 4.754,01 EUR ergab. Die Gesamtforderung aus Zuschuss und Eigenbeteiligung betrug 10.056,51 EUR. Mit Schreiben vom 30. Januar 2008 teilte die Beklagte der Klägerin erläuternd mit, dass mit dem Eintritt der Versicherungspflicht nach § 106 Abs. 1 Satz 2 SGB VI gleichzeitig der Anspruch auf Beitragszuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung entfalle. Dies gelte für den bis 31. März 2004 gezahlten Zuschuss zur Pflegeversicherung im Rahmen des § 106a SGB VI entsprechend. Die Zahlung des Zuschusses sei ausgeschlossen, wenn der Rentner der Versicherungspflicht in der sozialen Pflegeversicherung nach § 20 Abs. 1 SGB XI unterliege. Wegen einer rückwirkenden Korrektur des Kranken- und Pflegeversicherungsverhältnisses ergäben sich folglich immer zwei voneinander getrennt zu betrachtende Forderungsbeträge. Die Summe der einzubehaltenden Eigenanteile an den Aufwendungen zur Kranken-...