rechtskräftig: nein

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitsunfall. Medikamente. Bluthochdruck. innerer Zusammenhang. eigenwirtschaftliches Interesse. Betriebsweg. Abweichung

 

Leitsatz (amtlich)

Ein Berufskraftfahrer, der nach Antritt einer mehrtägigen Speditionsfahrt vom Betriebsweg abweicht, um seine zu Hause vergessenen Tabletten gegen langjährigen Bluthochdruck zu holen, handelt vorrangig eigenwirtschaftlich, selbst wenn er das Medikament auch zur Erhaltung seiner Fahrtüchtigkeit benötigt.

 

Normenkette

SGB VII § 8

 

Verfahrensgang

SG Itzehoe (Urteil vom 25.10.2001; Aktenzeichen S 1 U 152/99)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 07.09.2004; Aktenzeichen B 2 U 35/03 R)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 25. Oktober 2001 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte dem Kläger Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren hat.

Der am 16. Mai 1941 geborene Kläger leidet seit 1995 bzw. 1997 unter einer medikamentös behandelten arteriellen Hypertonie (Bluthochdruck). Eigenen Angaben zufolge nimmt er täglich morgens und abends eine Tablette ein. In den Behandlungs- und Befundberichten des ihn behandelnden Arztes für Allgemeinmedizin K. vom 25. März 2002 (Eingang) und 4. Februar 2003 heißt es: Der Kläger dürfe auf keinen Fall länger als 2 Tage seine Blutdruckmedikamente absetzen. Eine Einnahmeverzögerung von mehreren Stunden sei tolerabel. Eine 2 1/2-tägige Unterbrechung führe jedoch mit Sicherheit zu einem Absinken des therapeutischen Medikamentenspiegels im Blut und habe einen gefährlich hohen Blutdruck mit der Gefahr z.B. eines Schlaganfalles zur Folge. Ein nicht oder schlecht eingestellter Blutdruck sei ein Ausschlusskriterium für den Führerschein der Klasse II.

Am 22. Februar 1999 (Montag) hatte der Kläger für seine Arbeitgeberin, die Fa. N. GmbH & Co. Kommanditgesellschaft (nachfolgend: Fa. N.), mit einem Tanksattelzug Handelsware (25 t flüssiges Schweineschmalz) von Kiel nach Mouscron in Belgien zu transportieren. Den Auftrag hierzu hatte er bereits in der Vorwoche erhalten. Dabei war auch zur Sprache gekommen, dass er nach dem Abladen in Belgien nach Holland weiterfahren und dort Speisefett laden solle. Wegen ähnlicher Abläufe bei früheren Transporten erwartete der Kläger deshalb seinen Angaben zufolge, dass er diese Ladung nach Italien transportieren müsse. Den Zeitbedarf hierfür konnte er schwer einzuschätzen, rechnete aber mit nicht weniger als einer Woche. Hätte er hingegen nur nach Mouscron und wieder zurück fahren müssen, so hätte die Tour seiner Einschätzung nach bis zum Nachmittag des 24. Februar 1999 gedauert.

Am Abend des 21. Februar 1999 verließ der Kläger seine Wohnung in W., übernahm bei der Fa. N. den Tanksattelzug und übernachtete in diesem vor dem Betriebsgelände des Unternehmen, bei welchem das Schweineschmalz geladen werden sollte. Am nächsten Morgen bemerkte er, dass er sein Blutdruckmedikament zu Hause vergessen hatte und teilte seiner Ehefrau telephonisch mit, dass er dieses noch holen werde. Sodann belud er zunächst sein Fahrzeug und begab sich nochmals zur Fa. N., wo seinen Angaben zufolge seine Vermutung, nach Italien fahren zu müssen, bestätigt wurde. Anschließend befuhr er nicht die kürzeste in Richtung Belgien führende Fahrtroute über die Autobahn A 7 (Neumünster-Hamburg-Belgien), sondern von Neumünster aus die B 430 in westliche Richtung. Dabei geriet er mit dem Tanksattelzug auf die Grasbankette, verlor die Kontrolle über das Fahrzeug, schleuderte über die Fahrbahn und stürzte eine 6 bis 8 m tiefe Böschung hinab. Er wurde in dem völlig zertrümmerten Führerhaus eingeklemmt und erlitt ein Polytrauma mit Rippenserienfrakturen 2 bis 9 und Hämatopneumothorax rechts, ausgedehnte Kopfschwartenverletzungen rechts frontal und eine quere Risswunde an der rechten Ohrmuschel.

Auf die Unfallanzeige der Fa. N. vom 23. Februar 1999 leitete die Beklagte ein unfallversicherungsrechtliches Feststellungsverfahren ein. Sie zog unter anderem Auskünfte der Fa. N. vom 26. Februar und 8. März 1999 bei, in welchen ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, dass der Unfall abseits der betrieblich erforderlichen Route über die A 7 auf einer nicht angeordneten Fahrtstrecke geschehen sei.

Mit Bescheid vom 3. Juni 1999 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus: Der Kläger habe sich zum Unfallzeitpunkt nicht auf der angeordneten Fahrtstrecke, sondern auf der Landstraße in Richtung seines Wohnortes W. befunden. Er habe die versicherte unmittelbare Wegstrecke unterbrochen, um aus seinem häuslichen Wirkungskreis Blutdrucktabletten zu holen. Maßnahmen zur Erhaltung oder Wiederherstellung der Gesundheit seien grundsätzlich dem unversicherten persönlichen Lebensbereich zuzurechnen. Der Kläger habe somit den Unfall nicht bei einer versicherten Tätigkeit erlitten.

Mit seinem Wider...

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