Entscheidungsstichwort (Thema)
Freiwillige Mitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk als Mindestvoraussetzung für die rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht nach § 231 Abs 4b S 1 SGB 6
Orientierungssatz
1. In Fällen, in denen noch nicht einmal eine freiwillige Mitgliedschaft in einem Versorgungswerk bestand, scheidet eine rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 231 Abs 4b S 1 SGB 6 aus.
2. Denn für den Zeitraum, für den die rückwirkende Befreiung begehrt wird, muss bereits ein Bezug zu einem Versorgungswerk bestehen (vgl BSG vom 26.2.2020 - B 5 RE 2/19 R = SozR 4-2600 § 231 Nr 7 RdNr 20 f und Anschluss an LSG Celle-Bremen vom 7.10.2021 - L 12 BA 5/19 = juris RdNr 28).
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 9. August 2019 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Beklagte hat für beide Rechtszüge keine außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für den Zeitraum vom 1. November 2014 bis zum 30. November 2016 sowie die Erstattung von Beiträgen.
Der 1984 geborene Kläger ist Volljurist. Am 7. Mai 2014 erwarb der Kläger sein zweites juristisches Staatsexamen, das er am 28. Januar 2015 im Rahmen eines Verbesserungsversuchs erneut ablegte. Vom 1. November 2014 an war er bei dem Beigeladenen zu 1) in einem versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis beschäftigt. Es handelte sich hierbei um die erste versicherungspflichtige Beschäftigung des Klägers nach Studium und Referendariat. Der Kläger beantragte jedoch keine Zulassung als Rechtsanwalt.
Nach der gesetzlichen Einführung des Rechtsinstituts des Syndikusrechtsanwalts beantragte der Kläger bei der hanseatischen Rechtsanwaltskammer am 29. März 2016 seine Zulassung als Syndikusrechtsanwalt. Er fügte eine ausführliche Stellenbeschreibung seines Arbeitgebers, des Beigeladenen zu 1) sowie einen Anstellungsvertrag vom 8. März 2016 bei, wonach er bereits seit dem 1. November 2014 als Verbandssyndikusrechtsanwalt in der Rechtsabteilung der Geschäftsstelle H tätig war.
Am 30. März 2016 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 231 Abs. 4b Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) und einen Antrag auf Erstattung zu Unrecht gezahlter Pflichtbeiträge an die berufsständische Versorgungseinrichtung für Syndikusrechtsanwälte sowie einen Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 SGB VI für Rechtsanwälte und Syndikusrechtsanwälte und bezog sich auf seine Tätigkeit bei dem Beigeladenen zu 1).
Mit Zulassungsbescheid vom 7. September 2016 ließ die hanseatische Rechtsanwaltskammer den Kläger aufgrund seiner bei dem Beigeladenen zu 1) ausgeübten Tätigkeit als Syndikusrechtsanwalt zu. Die Zulassung wurde mit Aushändigung der Urkunde am 9. November 2016 wirksam.
Mit Bescheid vom 19. Dezember 2016 befreite die Beklagte den Kläger von der Rentenversicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 SGB VI ab 1. Dezember 2016.
Mit weiterem Bescheid vom 8. März 2017 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf rückwirkende Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für seine in der Zeit vom 1. November 2014 bis zum 30. November 2016 ausgeübte Tätigkeit bei dem Beigeladenen zu 1) ab, da er erst seit dem 1. Dezember 2016 der Beitragspflicht des Versorgungswerks (des Beigeladenen zu 2)) unterliege.
Dagegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 5. April 2017 Widerspruch. Die Beklagte gehe fälschlicherweise davon aus, dass es sich um eine rückwirkende Befreiung für eine vormals ausgeübte Tätigkeit als Syndikusanwalt bei dem Beigeladenen zu 1) in der Zeit vom 1. November 2014 bis zum 30. November 2016 handele. Richtigerweise sei er jedoch seit November 2014 bis zum heutigen Tage dort als Verbandsjurist tätig. Die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht wirke vom Beginn der Beschäftigung an, für die die Befreiung von der Versicherungspflicht erteilt werde. Die Befreiung müsse daher seit dem 1. November 2014 wirken. Auf eine Beitragspflicht im Versorgungswerk komme es nicht an.
Mit Widerspruchsbescheid vom 14. Mai 2018 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück und führte im Wesentlichen aus, dass die Voraussetzungen für eine rückwirkende Befreiung nicht vorlägen, da eine Pflichtmitgliedschaft im berufsständigen Versorgungswerk während der Beschäftigung zwingende Voraussetzung für eine Befreiung sei. Dies entspreche auch den Ausführungen in der Gesetzesbegründung.
Am 18. Juni 2018 hat der Kläger Klage bei dem Sozialgericht Lübeck erhoben und seinen Standpunkt aus dem Widerspruchsverfahren vertieft. Mit Urteil vom 9. August 2019 hat das Sozialgericht Lübeck den Bescheid der Beklagten vom 8. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Mai 2018 aufgehoben und die Beklagte veru...