Entscheidungsstichwort (Thema)
Kassenärztliche Vereinigung. Befugnis zur Korrektur zurückliegender Honorarbescheide. Ausschlussfrist. Verteilung des nach den Verhandlungen mit den Krankenkassen verbliebenen Defizits. pauschalierende Ermittlung der Rückforderungssumme. Sachlich-rechnerische Berichtigung. Neubewertung der psychotherapeutischen Leistungen durch den Bewertungsausschuss. Vertrauensschutz. Vorläufigkeit der Vergütung. Hinreichend konkreter Vorbehalt. Hemmung der Verjährung. Gesamtvergütung. Punktwertstützung
Orientierungssatz
1. Eine Kassenärztliche Vereinigung ist berechtigt, zurückliegende Honorarbescheide nachträglich zu korrigieren, wenn sich die maßgeblichen Verhältnisse für die Verteilung des Honorarvolumens, welches insgesamt für die Verteilung zur Verfügung stand aufgrund einer Nachvergütung für ausschließlich psychotherapeutisch tätige Ärzte und Psychotherapeuten ändern (vgl BSG vom 12.12.2001 - B 6 KA 3/01 R = BSGE 89, 90 = SozR 3-2500 § 82 Nr 3).
2. Unter Berücksichtigung des § 45 Abs 2 SGB 1 und der durch diese Regelung in Bezug genommenen Regelungen des BGB kann die Ausschlussfrist von vier Jahren für eine rückwirkende Minderung des vertragsärztlichen Honorars nicht ablaufen, bevor verbindlich feststeht, welche Gesamtvergütung eine Kassenärztliche Vereinigung verteilen kann (vgl BSG vom 24.4.2005 - B 6 KA 46/04 B; BSG vom 28.3.2007 - B 6 KA 22/06 R = BSGE 98, 169 = SozR 4-2500 § 85 Nr 35). Allerdings setzt die Hemmungswirkung die hinreichend deutliche Information der betroffenen Ärzte über die jeweilige Schwebelage voraus (vgl BSG vom 12.12.2012 - B 6 KA 35/12 R = SozR 4-2500 § 106a Nr 10).
3. Die Verteilung des nach den Verhandlungen mit den Krankenkassen verbliebenen Defizits lediglich auf die Fachärzte unter Nichtbelastung der Hausärzte ist nicht zu beanstanden, denn sie folgt den in § 85 Abs 4 S 1 SGB 5 niedergelegten Grundsätzen der Gesamthonorarverteilung, wonach die Gesamtvergütung getrennt für die Bereiche der hausärztlichen und der fachärztlichen Versorgung erfolgt. Zur fachärztlichen Versorgung gehören auch psychotherapeutische Gesprächsleistungen.
4. Zur Rechtmäßigkeit der pauschalierenden Ermittlung der Rückforderungssumme.
Normenkette
SGB V § 106a Abs. 2 S. 1, § 85 Abs. 4 S. 1; SGB I § 45 Abs. 2; BGB § 203
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 6. Juli 2011 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird auf 23.900,37 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin ist eine Radiologische Gemeinschaftspraxis, die bis März 2006 in der hier maßgeblichen Personenkonstellation bestanden hat. Sie wehrt sich gegen die mit den Honorarabrechnungen für die Quartale IV/05 und I/06 vorgenommene Neuberechnung ihrer Honorare für die Kalenderjahre 2000 bis 2003 unter Einbehalt von Honoraranteilen zur Finanzierung der Nachvergütung für ausschließlich psychotherapeutisch tätige Ärzte und Psychotherapeuten in diesem Zeitraum.
Die für die Jahre 2000 bis 2003 an die Klägerin gesandten Honorarabrechnungen der Beklagten enthielten folgenden Hinweis: “Diese Honorarabrechnung steht unter dem Vorbehalt, dass aufgrund einer für Schleswig-Holstein verbindlichen letztinstanzlichen Gerichtsentscheidung eine Neuberechnung der psychotherapeutischen Vergütungsanteile mit belastenden Außenwirkungen auf die Punktwerte anderer Arztgruppen durchzuführen ist„.
Hintergrund hierfür war die Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 20. Januar 1999 (B 6 KA 46/97 R), in der zunächst für den Zeitraum 1993 bis 1998 ein Mindestpunktwert für die Gesprächsleistungen der Psychotherapeuten und ausschließlich psychotherapeutisch tätigen Ärzte in Höhe von zehn Pfennig (= 5,11 Cent) festgesetzt wurde.
Für den Folgezeitraum machte der Bewertungsausschuss (BWA) Vorgaben zur Berechnung des Punktwertes für psychotherapeutische Gesprächsleistungen. Diese Vorgaben hob das BSG allerdings mit einem weiteren Urteil vom 28. Januar 2004 (B 6 KA 52/03 R) erneut auf und machte dabei neue Vorgaben für die psychotherapeutischen Vergütungen ab dem Quartal I/00. Die anschließend erfolgte Neuberechnung führte für den Bereich der Beklagten und den Zeitraum vom Quartal I/00 bis IV/03 zu einem Nachvergütungsbetrag in Höhe von insgesamt 12,47 Millionen €. Die Beklagte verhandelte anschließend bis Januar 2006 mit den gesetzlichen Krankenkassen über eine Beteiligung derselben an der Nachvergütung. Der zeitlich letzte Vertragsabschluss erfolgte dabei am 30. Januar 2006 mit dem Verband der Betriebskrankenkassen. Im Ergebnis dieser Verhandlungen verblieb ein von den Ärzten zu übernehmender Anteil an der Gesamtnachvergütung in Höhe von 5,86 Millionen €.
Mit Honorarbescheid vom 11. April 2006, zugestellt am 15. April 2006, errechnete die Beklagte für die klägerischen Leistungen im Quartal IV/05 ein Gesamthonorar in Höhe von 444.854,70 €. Gleichzeitig belastete sie das Honorarkonto ...