Entscheidungsstichwort (Thema)

(Wirtschaftlichkeitsprüfung. Einzelfallprüfung von Verordnungen kostenintensiver Arzneimittel. Berücksichtigung. Zweitmeinungsverfahren

 

Orientierungssatz

Die Prüfgremien haben bei einer Einzelfallprüfung von Verordnungen kostenintensiver Arzneimittel (hier: Wirkstoffe Adalimumab, Etanercept bzw Infliximab) die Ergebnisse eines durchgeführten Zweitmeinungsverfahrens zwar nicht zwingend bei dem Entscheidungsergebnis, aber jedenfalls im Prozess der Entscheidungsfindung auf der Beurteilungsebene zu berücksichtigen .

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 11.09.2019; Aktenzeichen B 6 KA 22/19 R)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 10. September 2014 und der Bescheid vom 19. Mai 2011 aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 195.673,22 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Schadensregresses. Dieser hat einen Schadensersatzanspruch der Beigeladenen zu 1) wegen der Verordnung von Tumor-Nekrose-Faktoren (TNF)-alpha-Inhibitoren durch den Kläger in den Quartalen I bis IV/2006 zum Inhalt.

Der Kläger ist Orthopäde und war seit 2002 im Rahmen einer Sonderbedarfszulassung für Rheumatologie mit der Zusatzbezeichnung Osteologie zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Seit September 2007 hat er eine reguläre Zulassung als Orthopäde. Bis Ende 2006 arbeitete in einer Einzelpraxis, seit Januar 2007 in einer überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaft.

Die Beigeladene zu 1) stellte bezüglich einzelner namentlich benannter Versicherter für das Quartal I/2006 am 09.12.2006, für das Quartal II/2006 am 15.03.2007, für das Quartal III/2006 am 26.06.2007 und für das Quartal IV/2006 am 06.09.2007 Prüfanträge. Sie stützte die Anträge auf die Verordnung der Medikamente Humira (Wirkstoff Adalimumab), Remicade (Wirkstoff Infliximab) und Enbrel (Wirkstoff Etanercept) und begründete sie mit Verstößen gegen § 12 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und Ziffer 14 der Arzneimittel-Richtlinien (AMR). Sie führte hierzu aus, mit dem Kläger sei im Mai 2005 eine Pharmakotherapie-Beratung durchgeführt worden. Hierbei sei ihm empfohlen worden, die Zweitmeinungsverfahren gemäß Anlage 2 der Prüf-vereinbarung (PrüfV) durchzuführen. Dem sei der Kläger aber nicht nachgekommen. Der medizinische Dienst der Krankenversicherung (MdK) habe die Verordnungsfälle überprüft und dabei teilweise die Unwirtschaftlichkeit der Behandlung, teilweise den nicht indikationsgerechten Einsatz der Arzneimittel festgestellt. Insbesondere sei häufig nicht erkennbar, ob eine Behandlung mit mindestens zwei Basistherapeutika vorangegangen sei. Die Ergebnisse der Überprüfungen des MdK legte die Beigeladene zu 1) der Prüfungsstelle vor.

Mit Bescheiden vom 12. September 2008 setzte die Prüfungsstelle der Vertragsärzte und Krankenkassen in Schleswig Holstein Prüfungsverordnungen (Prüfungsstelle) gegenüber dem Kläger Regresse fest, und zwar für das Quartal I/2006 in Höhe von 45.155,59 €, für das Quartal II/2006 in Höhe von 41.288,33 €, für das Quartal III/2006 in Höhe von 54.157,55 € und für das Quartal IV/2006 in Höhe von 55.071,75 €. Sie stellte die verordneten Medikamente und deren Anwendungsbereiche dar. Die Regresse begründete sie auf jeden einzelnen Patienten bezogen und stützte sich dabei auf Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) zur Therapie mit TNF-hemmenden Wirkstoffen bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen. Diese seien von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) in der Rubrik “Wirkstoff aktuell„ (Ausgabe 4/2006) als eine Information im Rahmen des § 73 Abs. 8 SGB V unter dem Titel “Etanercept bei rheumatoider Arthritis, Empfehlungen zur wirt-schaftlichen Verordnungsweise„ veröffentlicht worden. Die DGRh hatte hierzu folgende Voraussetzungen genannt:

1. gesicherte Diagnose einer rheumatoiden Arthritis (RA), einer polyartikulären Form der juvenilen chronischen Arthritis, einer ankylosierenden Spondylitis oder Psoriasisarthropathie.

2. trotz entsprechender Behandlung aktive Erkrankung, d.h. Versagen zumindest zweier konventioneller Basistherapeutika, eines davon MTX; die Therapie hiermit sollte allein oder in Kombination in adäquater Dosis über einen ausreichend langen Zeitraum (in der Regel insgesamt 6 Monate) erfolgt sein.

3. bei ankylosierender Spondylitis sollte diese mindestens ein halbes Jahr bestehen und es sollte ein erhöhter Aktivitätsindex über mindestens 2 Monate sowie erhöhte Entzündungsparameter unter einer maximal dosierten Therapie mit mindestens 2 konsekutiv verabreichten nicht steroidalen Antiphlogistika dokumentiert sein.

4. kontinuierliche mit Betreuung und Dokumentation unter Verwendung validierter Messinstrumente durch einen internistischen Rheumatologen oder eine internistisch-rheumatologische Abteilung bzw. einen rheumatologisch qualifizierten Pädiater.

Diese Voraussetzungen sah die Prüfungsstelle in den beanstandeten Verordnungsfällen als nicht e...

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