Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften zur Höhe der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie der Differenzierung hinsichtlich der Verlängerung der Zurechnungszeit in der gesetzlichen Rentenversicherung zwischen Neu- und Bestandsrentnern
Orientierungssatz
1. Die Vorschriften zur Höhe der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung verstoßen nicht gegen das GG und UNBehRÜbk.
2. Es verstößt auch nicht gegen das GG, dass hinsichtlich der Verlängerung der Zurechnungszeit zwischen Neu- und Bestandsrentnern differenziert wird (vgl LSG Essen vom 13.3.2020 - L 14 R 883/19).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Schleswig vom 27. August 2018 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist eine höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Die 1957 geborene Klägerin beantragte am 24. April 2015 eine Rente wegen Erwerbsminderung bei der Beklagten. Mit Bescheid vom 18. November 2015 bewilligte die Beklagte ihr eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 1. August 2014. Als Rentenantrag gelte der am 6. August 2014 gestellte Antrag auf Leistungen der medizinischen Rehabilitation. Die Anspruchsvoraussetzungen seien seit dem 14. Oktober 2013 erfüllt (Beginn der Arbeitsunfähigkeit). Die Rente werde längstens bis zum 31. Januar 2023 (Monat des Erreichens der Regelaltersrente) gezahlt. Der monatliche Zahlbetrag betrage 1.051,86 EUR. Hierbei berücksichtigte die Beklagte u.a. eine Zurechnungszeit von 64 Monaten (1. November 2013 bis 24. Februar 2019 bzw. bis zur Vollendung zur Vollendung des 62. Lebensjahres) und einen verminderten Zugangsfaktor in Höhe von 0,108 (für die Anzahl der Kalendermonate für die Zeit vom 1. November 2017 bis 31. Oktober 2020 vervielfältigt mit dem Faktor 0,003). Der für die Zeit vom 1. August 2014 bis 31. Dezember 2015 ausgewiesene Nachzahlungsbetrag wurde zur Erfüllung von Erstattungsansprüchen an die Krankenkasse (1. August 2014 bis 13. April 2014 iHv 7.479,35 EUR) und die Agentur für Arbeit (14. April 2015 bis 31. Dezember 2015 8.954,96 EUR) überwiesen.
Die Klägerin erhob mit Schreiben vom 8. Dezember 2015 Widerspruch gegen den Rentenbescheid. Der Bescheid entspreche nicht den rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes (GG). Er verstoße außerdem gegen Ziele des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch (SGB IX) sowie des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen (BGG). Ihre volle Erwerbsminderungsrente sei auf das Niveau des Arbeitslosengelds bzw. des Krankengeldes anzuheben. Die Rente wegen Erwerbsminderung solle erreichen, dass der Lebensstandard nicht wesentlich eingeschränkt werde. Hierzu im Widerspruch stehe die Einführung des gekürzten Zugangsfaktors. Im Interesse verfassungsrechtlich gebotener Gleichbehandlung bedürfe es analog zu der Mindestpension für Beamte in der gesetzlichen Rentenversicherung einer Mindestsicherung für Erwerbsminderungsrentner. Ein weiteres Problem bestehe darin, dass die private Versicherungswirtschaft keine adäquaten Produkte vorhalte, die das Risiko der Erwerbsminderung abdeckten, sodass ein Lebensstandard aus drei Säulen de facto Illusion sei. Es liege zudem ein Verstoß gegen Art. 28 UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) vor. Danach sei der soziale Schutz und die Verwirklichung des Rechts auf einen angemessenen Lebensstandard von Deutschland anzuerkennen. Dabei sei u.a. auch der gleichberechtigte Zugang zu Leistungen und Programmen der Altersversorgung für Menschen mit Behinderungen zu sichern. Diese Vorgabe bedeute, dass auch Menschen mit einer Erwerbsminderungsrente beim Bezug einer Altersrente nicht aufgrund ihrer Erwerbsminderung schlechter gestellt werden dürften. Darüber hinaus richtete sich der Widerspruch auch gegen die von der Beklagten ermittelten Entgeltpunkte für Beitragszeiten. Die Klägerin fügte diesbezüglich diverse Gehaltsunterlagen bei. Für die Zeiten der Pflege ihres Vaters von Juni 2008 bis Januar 2010 liege kein Gutachten des MDK-Nord vor. Ihr Vater habe eine Begutachtung zur Pflegestufe verweigert.
Die Beklagte nahm mit Schreiben vom 22. Februar 2016 Stellung. Der Zugangsfaktor richte sich nach § 77 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) und verringere sich demnach um 0,003 von 1,0 um jeden Kalendermonat, den die Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahrs in Anspruch genommen werde. Bezüglich der Anerkennung von Pflichtbeitragszeiten für die Pflege ihres Vaters in der Zeit von Juni 2008 bis Januar 2010 sei die Beklagte an die Entscheidungen der Pflegekasse gebunden. Hinsichtlich der Berücksichtigung eines höheren beitragspflichtigen Einkommens für die Jahre 1985, 1991, 1995 und 1999 wies sie darauf hin, dass das steuerpflichtige Einkommen nicht gleich dem rentenversicherungspflichtigen Einkommen ist. Fü...