Entscheidungsstichwort (Thema)
Korrektur eines Bescheides über die Bewilligung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gem § 48 Abs 1 S 2 SGB 10 nach rückwirkender Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. atypischer Fall
Leitsatz (amtlich)
1. Die rückwirkende Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung bedeutet bezogen auf die zuvor erfolgte Bewilligung einer Teilerwerbsminderungsrente eine wesentliche Änderung, die zur rückwirkenden Aufhebung der Teilerwerbsminderungsrente rechtfertigt. Dabei ist die "Soweit-Regelung" des § 48 Abs 1 S 2 SGB X zu beachten.
2. Ein Verwaltungshandeln, welches von unterlassenen Sachverhaltsaufklärungen, verzögerter Bearbeitung und unzureichender Information der Versicherten gekennzeichnet ist, kann einen atypischen Fall begründen, der im Rahmen von § 48 Abs 1 S 2 SGB X die Ausübung behördlichen Ermessens gebietet.
Orientierungssatz
Ebenso kann die Atypik eines Falles darin begründet liegen, dass ein Versicherter durch die rückwirkende Gewährung einer höherrangigen Sozialleistung wirtschaftlich schlechter gestellt wird als ohne sie (hier: der durch rückwirkende Bewilligung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung bewirkte Wegfall der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung sowie von Arbeitslosen- und Krankengeld).
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Itzehoe vom 24. Februar 2015 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte erstattet der Klägerin auch ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten für das Berufungsverfahren.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Aufhebungs- und Erstattungsentscheidung.
Die am …1956 geborene Klägerin stellte am 8. Februar 2010 gegenüber der Beklagten einen Antrag auf Zuerkennung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Auf Aufforderung der Beklagten brachte sie dabei eine Arbeitgeberauskunft ihres damaligen Beschäftigungsbetriebes, eines Kfz-Meisterbetriebes, bei. Der Beschäftigungsumfang betrug drei Stunden täglich entsprechend 15 Stunden wöchentlich. Die Arbeitgeberauskunft enthielt den Hinweis, dass das Arbeitsverhältnis bei Rentenbewilligung aufgrund betriebsbedingter Verhältnisse aufgelöst würde. Ferner gab der Arbeitgeber längere Zeiten der Arbeitsunfähigkeit, u. a. seit 24. August 2009, an. Zur medizinischen Sachverhaltsaufklärung wertete die Beklagte einen Reha-Entlassungsbericht aus der H...-Klinik in N... über den dortigen Aufenthalt der Klägerin vom 15. Dezember 2009 bis 26. Januar 2010 aus. Dort war bei Diagnose einer mittelgradigen depressiven Episode, eines Bluthochdrucks und eines Zustandes nach Brustkrebserkrankung ein quantitatives Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt von drei bis unter sechs Stunden bei Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen erkannt worden. Mit Bescheid vom 6. Juli 2010 gewährte die Beklagte der Klägerin eine zunächst bis zum 31. August 2011 befristetet Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe von 108,09 € monatlich ab 1. Februar 2010. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass ein Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung nicht bestehe, weil die Klägerin einen dem sozialmedizinisch ermittelten Leistungsvermögen entsprechenden Teilzeitarbeitsplatz innehabe. Mit ihrem am 30. Juli 2010 eingelegten Widerspruch begehrte die Klägerin die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Anfang 2011 wurde das Arbeitsverhältnis der Klägerin in dem Kfz-Meisterbetrieb beendet. Die im Widerspruchsverfahren durchgeführten medizinischen Ermittlungen bestätigten zunächst das Vorliegen eines quantitativen Leistungsvermögens von drei bis unter sechs Stunden bei weiteren qualitativen Leistungseinschränkungen, gemäß dem das Gutachten des Internisten Dr. B... vom 1. März 2011 und dem Gutachten des Neurologen Dr. G... vom 15. März 2011. Mit Bescheid vom 21. März 2011 berechnete die Beklagte die Teilerwerbsminderungsrente mit Wirkung ab 1. Januar 2011 neu, ermittelte einen monatlichen Zahlbetrag von 107,74 EUR und hielt an der Befristung bis zum 31. August 2011 fest. Mit Bescheid vom 30. August 2011 erfolgte eine Verlängerung der Teilerwerbsminderungsrente bis zum Ablauf des Monats August 2012. Vom 17. August 2011 bis 14. September 2011 absolvierte die Klägerin in Kostenträgerschaft der Beklagten eine stationäre Rehabilitation in der Psychosomatischen Klinik in Bad Na... Dort wurde von einem Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt und in der letzten beruflichen Tätigkeit von unter drei Stunden täglich ausgegangen.
Die Beklagte gewährte der Klägerin mit Bescheid vom 28. November 2011 eine bis Dezember 2012 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung ab Februar 2010 und ermittelte einen monatlichen Zahlbetrag von 220,57 EUR. Sie wies einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von 5.044,42 EUR für den Zeitraum vom 1. Februar 2010 bis 31. Dezember 2011 aus und erklärte, die Nachzahlung werde vorläufig nicht ausgezahlt. Zunächst seien Ansprüche anderer Stellen zu klären. Sobald die Höhe der Ansprüche ...