Entscheidungsstichwort (Thema)
Verordnung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel
Orientierungssatz
1. Das Sozialgericht verstößt nicht gegen die gesetzlich gebotene Unterrichtungs- und Anhörungspflicht des § 105 Abs. 1 S. 2 SGG und damit nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn es die Beteiligten nicht auf die Rechtsansicht des zur Entscheidung berufenen Gerichts hinweist.
2. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind von der Versorgung nach § 31 SGB 5 ausgeschlossen, es sei denn, es liegt eine der in den Arzneimittel-Richtlinien abschließend aufgeführte Ausnahmeindikation vor.
3. Die gesetzliche Regelung des § 31 SGB 5 gilt auch für die Behörden der Versorgungsverwaltung.
4. Der Ausschluss rezeptfreier Arzneimittel bindet auch den Apotheker bei der Abgabe.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrt von der Beklagten bzw. der Beigeladenen die Versorgung mit dem Arzneimittel L-Tryptophan ®.
Der Kläger leidet an Multipler Sklerose. Diese Erkrankung ist als Impfschaden anerkannt. Der Kläger hat als Versorgungsberechtigter nach den Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) und als freiwilliges Mitglied der Krankenversicherung der Rentner nach den Vorschriften des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) Anspruch auf Krankenbehandlung. Dazu gehört u.a. die Versorgung mit Arzneimitteln (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V, § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BVG).
Am 10.05.2007 verordnete der Hausarzt des Klägers auf einem vertragsärztlichen Rezept unter Kennzeichnung des Feldes Nr. 6 (BVG) "L-Tryptophan ratio 100 Tbl. OP wegen MS -bedingter Beschwerden". Die N-Apotheke in M. legte dieses Rezept am 20.06.2007 der Beklagten vor mit der Bitte um Genehmigung. Auf entsprechende Anfrage der Beklagten teilte der Beigeladene mit Schreiben vom 09.08.2007 unter Beifügung einer Stellungnahme seines ärztlichen Dienstes (Dr. B.) vom 03.08.2007 mit, bei dem Medikament L-Tryptophan ® handele es sich nicht um ein schädigungsbedingt notwendiges Arzneimittel.
Gestützt hierauf lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 16.08.2007 die Übernahme der Kosten für das Arzneimittel L-Tryptophan ® ab. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 18.09.2007 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 29.09.2007 Klage erhoben. Er hält den angefochtenen Bescheid für unzulässig. Er meint, durch die Verweigerung von Medikamenten begehe die Beklagte Körperverletzung.
Der Kläger beantragt dem Sinne seines schriftsätzlichen Vorbringens nach,
den Bescheid der Beklagten vom 16.08.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18.09.2007 aufzuheben und die Beklagte oder die Beigeladene zu verpflichten, ihn mit dem Arzneimittel L-Tryptophan ® zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie weist daraufhin, dass es sich bei dem Arzneimittel L-Tryptophan ® um ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel handelt. Es sei deshalb von der Versorgung zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Dementsprechend dürfe die Apotheke das Medikament auch nicht zu Lasten der Krankenversicherung an den Kläger abgegeben.
Die Beigeladene hat keinen eigenen Antrag gestellt.
Mit Schreiben vom 04.12.2007 sind die Beteiligten zu einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört worden.
Entscheidungsgründe
II.
Gemäß § 105 Abs. 1 SGG kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten sind vorher angehört worden. Soweit der Kläger die Anhörung durch das Schreiben vom 04.12.2007 für unzulässig hält, verkennt er die von ihm herangezogene Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 05.11.1986 - 1 BvR 706/85 (BVerfGE 74,1). In diesem Beschluss hat das BVerfG entschieden, dass es nicht gegen Artikel 103 Abs. 1 Grundgesetz verstößt, wenn bei der gesetzlich gebotenen Unterrichtungs- und Anhörungspflicht nicht auf die Rechtsansicht des zur Entscheidung berufenen Gerichts hingewiesen wird. Der tatsächliche Lebenssachverhalt, zu dessen Beurteilung das Gericht angerufen worden ist, ergibt sich aus dem Begehren des Klägers und der Darstellung in den angefochtenen Bescheiden; er ist insoweit geklärt. Der Kläger hat gegen den Lebenssachverhalt auch nichts vorgebracht. Streitig ist allein die rechtliche Bewertung dieses Lebenssachverhalts, die mit der vorliegenden Entscheidung erfolgt.
Der Kläger hat weder gegen die Beklagte noch gegen den Beigeladenen einen Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel L-Tryptophan ®. Denn es handelt sich hierbei um ein nicht verschreibungspflichtiges, "rezeptfrei" erhältliches Arzneimittel. Nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel sind von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Es liegt keine der in den Arzneimittel-Richtlinien abschließend aufgeführten Ausnahmeindikationen vor. L-Tryptophan ® ist desha...