Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. keine Erforderlichkeit der Versorgung mit einem Therapie-Tandem als Hilfsmittel bei weniger aufwändigen, wirtschaftlicheren Therapiemaßnahmen
Orientierungssatz
Die Versorgung mit einem Therapie-Tandem als Hilfsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung ist nicht erforderlich, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, wenn hierzu weniger aufwändige, wirtschaftlichere Therapiemaßnahmen (hier: Physiotherapie, Logopädie, heilpädagogisches Reiten und psychomotorische Schulung) zur Verfügung stehen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Versorgung mit einem Therapie-Tandem.
Der 1999 geborene Kläger leidet an einer allgemeinen psychomotorischen Retadierung mit Intelligenzminderung, hypotoner Bewegungsstörung sowie Wahrnehmungs-, Konzentrations- und Verhaltensstörungen, teils mit autistischen Zügen. Er lebt mit seinen Eltern und einem älteren Bruder zusammen und besucht eine Schule für Körperbehinderte in A. Er erhält folgende Behandlungen: Physiotherapie (Krankengymnastik auf neurophysiologischer Grundlage) einmal wöchentlich, Logopädie ein bis zweimal wöchentlich, Heilpädagogisches Reiten einmal wöchentlich, psychomotorische Schulung einmal wöchentlich, Tomatis-Therapie alle acht bis zwölf Wochen für 4 bis 5 Tage.
Am 02.07.2007 beantragte der Kläger die Übernahme der Kosten für ein Therapie-Tandem. Er legte hierzu eine Hilfsmittelverordnung des Kinderarztes Dr. H. mit einem befürwortenden Attest vom 13.06.2007, eine befürwortende Stellungnahme der Physiotherapeutin E. vom 05.06.2007 und einen Kostenvoranschlag der Firma H. Rehahilfen vom 21.06.2007 für ein Therapie-Fahrrad mit Doppellenkung, Typ Copilot 24 groß, der Firma I. über 2.818,87 EUR vor.
Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 04.07.2007 ab mit der Begründung, das Therapie-Tandem sei nicht erforderlich. Den dagegen am 10.07.2007 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 31.08.2007 zurück.
Dagegen hat der Kläger am 06.09.2007 Klage erhoben. Er ist der Auffassung, das Therapie-Tandem sei alleine aus therapeutischen Gründen notwendig. Medizinische Rehabilitation sei Aufgabe der Krankenversicherung. Das Therapie-Tandem sei speziell für die Mitnahme von behinderten Personen konstruiert. Die behinderte Person sitze vorn und könne unabhängig von dem hinteren - nicht behinderten - Fahrer, der lenke, schalte und bremse, selbst treten; der vordere Lenker werde entweder fixiert oder zum Mitlenken freigeschaltet. Auf diese Art und Weise sei es möglich, die beim Behinderten vorhandenen Fähigkeiten zu fördern. Er - der Kläger - könne, da er erheblich in seiner Motorik gestört sei, nicht alleine ein Fahrrad führen; verschiedenen Therapieberichten sei zu entnehmen, dass er unter gezielter Förderung ein erhebliches Entwicklungspotenzial habe.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 04.07.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31.08.2007 zu verurteilen, ihn mit einem Therapie-Fahrrad mit Doppellenkung (Therapie-Tandem) zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, das beantragte Therapie-Tandem sei nicht erforderlich, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, weil hierfür regelmäßige Krankengymnastik ausreichend sei und sogar gezielter und vielseitiger die angestrebten Verbesserungen der körperlichen und seelischen Verfassung erreichen könne. Auch zur Befriedigung von Grundbedürfnissen sei ein Therapie-Tandem nicht erforderlich. Das Grundbedürfnis der Erschließung eines gewissen körperlichen Freiraums sei lediglich im Sinne eines Basisausgleichs zu verstehen, über den das Tandem hinaus gehe. Zur Befriedigung des Grundbedürfnisses der sozialen Integration in Gruppen Gleichaltriger sei die Versorgung mit einem Therapie-Tandem nicht geeignet, da stets die Anwesenheit einer aufsichtführenden Begleitperson erforderlich sei, womit der mit der Versorgung erzielbare Effekt im Hinblick auf die Integration eher gering einzuschätzen sei. Das bloße Radfahren stelle kein Grundbedürfnis dar, dessen Befriedigung in den Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung falle.
Das Gericht hat Informationsmaterial über das von der Firma I. Rehahilfen vorgeschlagene Therapie-Tandem beigezogen und zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts Stellungnahmen zur Behandlung und zu Zweck und Nutzen eines Therapie-Tandems für den Kläger eingeholt von dem Kinderarzt Dr. H. vom 05.11.2007, von der Psychomotorikpraxis KiBA (vom 19.12.2007), von der Physiotherapeutin E. (vom 09.01.2008), von der Logopädin P. vom (08.01.2008) und von der Diplomreitpädagogin T. (ohne Datum). Auf die genannten Unterlagen wird verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsak...