Entscheidungsstichwort (Thema)
Berücksichtigung des von einem selbständig tätigen Hilfebedürftigen erzielten Einkommens bei der Entscheidung des Grundsicherungsträgers über dessen Hilfebedürftigkeit
Orientierungssatz
1. Hilfebedürftig i. S. von § 9 SGB 2 ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen und Vermögen sichern kann. Bei einem Selbständigen sind zur Berechnung des Einkommens von den Betriebseinnahmen die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11 b SGB 2 abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen.
2. Eine Saldierung von Einnahmen und Verlusten aus mehreren Gewerbebetrieben ist ausgeschlossen.
3. Der im Einkommensbegriff des § 11 SGB 2 konkretisierte Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 2 SGB 2 verpflichtet den Hilfebedürftigen, vorhandenes Vermögen zur Bedarfsdeckung zu verwenden, bevor bestehende Verpflichtungen erfüllt werden. Verluste aus Erwerbstätigkeit dürfen nicht auf die öffentliche Hand abgewälzt werden.
4. Ein Verlustausgleich zwischen einzelnen Einkunftsarten des Selbständigen ist ausgeschlossen.
5. Wird ein Monatsticket sowohl gewerblich als auch privat genutzt, so sind dessen Kosten entsprechend der tatsächlichen Nutzung prozentual als Betriebsausgabe vom erzielten betrieblichen Einkommen des Selbständigen abzusetzen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitgegenstand sind endgültige Leistungsfestsetzungen für den Zeitraum von Februar 2013 bis November 2014.
Die alleinstehende Klägerin ist seit Juni 2006 als Lerntherapeutin selbstständig erwerbstätig. Seit Oktober 2013 betreibt sie zusätzlich einen Internethandel mit Strickwaren. Während die Tätigkeit als Lerntherapeutin gewinnbringend war, führte der Handel mit Strickwaren zu Verlusten. Im Rahmen der Tätigkeit als Lerntherapeutin fuhr die Klägerin den ersten Kunden eines Tages von zu Hause aus an. Anschließend fuhr sie zumeist von einem Auftraggeber zum nächsten. Die Anzahl der Kunden eines Tages variierte. Ein konkreter Durchschnitt lässt sich nicht feststellen. Zu Beginn eines Monats schätzte die Klägerin anhand ihrer Auftragslage jeweils ab, ob der Erwerb eines vergünstigten Monatstickets für den öffentlichen Personennahverkehr innerhalb der Städteregion Aachen, dem sog. Mobilticket, für Fahrten zu ihren Kunden gegenüber dem Kauf von Einzelfahrscheinen günstiger sein würde und erwarb das Monatsticket nur dann, wenn dies der Fall war. Tatsächlich nutzte sie dieses Ticket auch privat. Der Umfang der privaten Nutzung kann von der Klägerin weder belegt noch konkret bezeichnet werden.
Im Zeitraum von Februar 2013 bis November 2014 (Bewilligungszeiträume: 02.-05.2013; 06.-11.2013; 12.2013-05.2014; 06.-11.2014) bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) vorläufig.
Mit Bescheiden vom 28.04.2015 in der Fassung der Bescheide vom 04.01.2016 (Berücksichtigung der hälftigen Kosten des Mobiltickets) setzte der Beklagte den Leistungsanspruch der Klägerin für die streitgegenständlichen Zeiträume endgültig fest. Dabei legte er der Einkommensberechnung grundsätzlich die Angaben der Klägerin in den jeweiligen abschließenden Angaben zum Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit für den jeweiligen Bewilligungsabschnitt zugrunde und errechnete entsprechende Durchschnittseinkommen.
Die geltend gemachten Betriebsausgaben wurden jedoch insbesondere insoweit nicht vollständig als einkommensmindernd berücksichtigt, wie sie die Kosten des Mobiltickets betrafen. Diese wurden jeweils zu 50 % statt klägerseitig abgesetzter 100 % berücksichtigt. Der Beklagte begründete dies damit, dass das Ticket auch privat genutzt werden könne und eine solche Mitnutzung üblich und wahrscheinlich sei. Ferner zog der Beklagte Verluste aus dem Internethandel der Klägerin nicht vom über die selbstständige Tätigkeit als Lerntherapeutin erzielten Gewinn ab (Gesamtbeschwer: 885,50 Euro).
Den am 21.05.2015 gegen diese Bescheide eingelegten Widerspruch begründete die Klägerin insbesondere damit, dass die Kosten des Mobiltickets zu Unrecht nicht als Betriebsausgaben anerkannt worden seien und die Verluste ihres Internethandels mit dem Gewinn aus ihrer Tätigkeit als Lerntherapeutin zu saldieren seien.
Mit vier Widerspruchsbescheiden vom 26.01.2016 wies der Beklagte den Widerspruch gegen die endgültigen Leistungsfestsetzungen als unbegründet zurück. Da die Klägerin aufgrund ihrer selbstständigen Erwerbstätigkeit als Lerntherapeutin verschiedene Dienstorte in Aachen aufsuche, seien die Kosten des Mobiltickets grundsätzlich als Betriebsausgaben von den Einnahmen absetzbar. Das Ticket könne aber auch privat genutzt werden und es sei davon auszugehen, dass dies auch geschehe. Anders als im Steuerrecht dürfe kein Verlustausgleich zwischen verschiedenen Einkommensarten erfolgen. Dies entspreche einem allgemeinen Grundsatz des Sozialrec...