Entscheidungsstichwort (Thema)

Erwerbsminderungsrente vor Vollendung des 60. Lebensjahres. Rentenabschlag. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Auch Erwerbsminderungsrenten, die vor dem 60. Lebensjahr in Anspruch genommen werden, sind mit einem Abschlag zu versehen (Anschluss an SG Aachen vom 9.2.2007 - S 8 R 96/06, Entgegen BSG vom 16.5.2006 - B 4 RA 22/05 R = SozR 4-2600 § 77 Nr 3).

2. Der Satz 3 des § 77 Abs 2 SGB 6 bedeutet nicht, dass die vorzeitige Inanspruchnahme vor Vollendung des 60. Lebensjahres eine Minderung des Zugangsfaktors ausschließt.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Erwerbsminderungsrente ab 01.11.2002.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin beantragte am 24.04.2002 Rente wegen Erwerbsminderung. Durch Bescheid vom 28.03.2003, 21.12.2004, 03.03.2005 und 03.04.2007 bewilligte die Beklagte - ausgehend von einer seit 24.04.2002 bestehenden Erwerbsminderung - Rente wegen voller Erwerbsminderung, befristet vom 01.11.2002 bis 30.04.2009. Die Höhe dieser Rente bestimmte die Beklagte nach einem verminderten Zugangsfaktor von 0,931.

Am 11.07. und 20.10.2006 beantragte die Klägerin die Überprüfung der Höhe und eine Neuberechnung der Rente. Zur Begründung verwies sie u.a. auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 16.05.2006 - B 4 RA 22/05 R.

Durch Bescheid vom 01.02.2007 lehnte die Beklagte den Antrag auf Neufeststellung der Rente ab mit der Begründung, die Rente werde in richtiger Höhe gezahlt. Den hiergegen am 13.02.2007 eingelegten Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 06.03.2007 zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 30.03.2007 Klage erhoben.

Die Klägerin beantragt ihrem schriftlichen Vorbringen nach,

den Bescheid vom 01.02.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 06.03.2007 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr in entsprechender Abänderung der Rentenbewilligungsbescheide vom 28.03.2003, 21.12.2004, 03.03.2005 und 03.04.3007 ab 01.11.2002 höhere Rente wegen Erwerbsminderung unter Zugrundelegung eines Zugangsfaktors von 1,0 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltungsakte der Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben, Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit übereinstimmend einverstanden erklärt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Die Klägerin wird durch die angefochtenen Bescheide nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert, da sie nicht rechtswidrig sind. Die Beklagte hat zu Recht den Antrag auf Überprüfung der bestandskräftigen Bescheide über die Bewilligung der Erwerbsminderungsrente ab 01.11.2002 und eine Nachzahlung von Rente abgelehnt, da bei Erlass dieser Bescheide das Recht richtig angewandt und die Rentenleistungen in richtiger Höhe erbrach worden sind (vgl. § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X).

Maßgeblich ist das Rentenrecht, das bei Beginn der Leistung - hier: ab 01.11.2002 - galt. Die Beklagte hat sich daher bei der Berechnung der Rente und bei der Bestimmung des Zugangsfaktors zu Recht auf das ab 01.01.2001 geltende Rentenrecht in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 - BGBl. I S. 1827 - gestützt. Sie hat den für die Erwerbsminderungsrente maßgeblichen Zugangsfaktor richtig mit 0,931 bestimmt, indem sie in Anwendung von § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 SGB VI i.V.m. § 264c SGB VI und der Anlage 23 zum SGB VI den Ausgangsfaktor 1,0 für 23 Monate um je 0,003, insgesamt also um 0,003 niedriger angesetzt hat.

Zwar entspricht die Rentenberechnung der Beklagten nicht der Auffassung des BSG im Urteil vom 16.05.2006 (B 4 RA 22/05 R). Jedoch hat die 8. Kammer des Sozialgerichts Aachen durch Urteil vom 09.02.2007 (S 8 R 96/06) die dem BSG nicht folgende Praxis der Rentenversicherungsträger als mit dem Gesetz in Einklang stehend erkannt und ist der Ansicht des BSG nicht gefolgt. Sie hat dies wie folgt begründet:

"Allerdings entspricht die Entscheidung der Beklagten nicht dem Urteil des BSG vom 16.05.2006 - B 4 RA 22/05 R -. Nach dieser Entscheidung unterliegen Erwerbsminderungsrentner, die - wie der Kläger - bei Rentenbeginn das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, Rentenabschlägen nur, wenn sie Rente über das 60. Lebens-jahr hinaus beziehen. Das BSG interpretiert die für die Berechnung des Zugangs-faktors maßgebende Vorschrift des § 77 SG...

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