Entscheidungsstichwort (Thema)

Berechnung des Sozialhilfebedarfs eines in einer Werkstätte für behinderte Menschen beschäftigten Hilfebedürftigen

 

Orientierungssatz

1. Vorhandenes Einkommen des Hilfebedürftigen ist auf dessen Bedarf nach Maßgabe des § 82 SGB 12 anzurechnen.

2. Bei einer Beschäftigung des Hilfebedürftigen in einer Werkstätte für behinderte Menschen (WfbM) stellt § 82 Abs. 3 S. 2 SGB 12 auf das Entgelt ab. Das Entgelt bei einer Beschäftigung in einer WfbM ist in § 138 Abs. 2 SGB 9 definiert. Danach gehört das Arbeitsförderungsgeld (AFÖG), welches die Werkstätten gemäß § 43 S. 1 SGB 9 von den Rehabilitationsträgern erhalten, nicht zum Entgelt i. S. des § 82 Abs. 3 S. 2 SGB 12.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten höhere Leistungen der Grundsicherung (GSi) nach dem Vierten Kapitel des Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII), monatlich 6,50 EUR für den Zeitraum für Januar bis Dezember 2015.

Die am 00.00.0000 geborene Klägerin ist dauerhaft voll erwerbsgemindert. Sie ist als Schwerbehinderte anerkannt nach einem Grad der Behinderung von 70 und den Merkzeichen B und G. Sie lebt mit ihrem Vater, der auch ihr Betreuer ist, in einem gemeinsamen Haushalt. Sie arbeitet tagsüber in einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) der Lebenshilfe B. Sie bezieht seit Februar 2012 ergänzende Leistungen der GSi nach dem SGB XII unter Berücksichtigung des Werkstatteinkommens. Das regelmäßige steuer- und sozialversicherungspflichtige Werkstatteinkommen beträgt (seit 2014) monatlich 102,00 EUR; dieser Betrag setzt sich zusammen aus dem Arbeitsentgelt I (75,00 EUR) und II (1,00) von zusammen 76,00 EUR und dem Arbeitsförderungsgeld (AFÖG) von 26,00 EUR. Bis heute 2014 berechnete die Beklagte das die Sozialhilfe mindernde Einkommen wie folgt: Werkstatteinkommen 102,00 EUR abzusetzende Beträge: - Arbeitsmittelpauschale - 5,20 EUR - Freibetrag § 82 Abs. 3 Satz 2 - 62,16 EUR - PV-Beitrag für Kinderlose - 1,38 EUR - AFÖG - 26,00 EUR anzurechnendes Einkommen 7,26 EUR

Durch Bescheid vom 17.12.2014 bewilligte die Beklagte der Klägerin GSi für die Zeit vom 01.01. bis 31.12.2015 unter Berücksichtigung des ab 01.01.2015 gestiegenen Regel- und Mehrbedarfes, aus denen sich ein Grundsicherungsbedarf von 374,40 ergab. Das hierauf anzurechnende Einkommen berechnete die Beklagte nunmehr wie folgt: Werkstatteinkommen (ohne anrechnungsfreiem AFÖG) 76,00 EUR abzusetzende Beträge - Arbeitsmittelpauschale - 5,20 EUR - Freibetrag § 82 Abs. 3 Satz 2 - 56,41 EUR - Pflegeversicherung - 1,38 EUR anzurechnendes Einkommen 13,01 EUR

Dagegen erhob die Klägerin am 30.12.2014 Widerspruch: Zwar seien die Regelbedarfsstufen neu festgesetzt worden; dagegen sei ihr nicht bekannt, dass sich die Berechnung des Freibetrages geändert habe. Die Klägerin verwies auf die entsprechende Berechnung des LSG Berlin-Brandenburg im Urteil vom 28.09.2006 (L 23 SO 1094/05).

Die Beklagte erläuterte der Klägerin mit Schreiben vom 08.01. und 14.01.2005 die geänderte Berechnung des Freibetrages nach § 82 Abs. 3 Satz 2 SGB XII und wies darauf hin, dass die bisherige Berechnungsweise nicht korrekt gewesen sei. Die Klägerin hielt ihren Widerspruch aufrecht; sie verwies nochmals auf das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg und bat, den Freibetrag wie bis 2014 "urteilskonform" zu vermitteln.

Die Beklagte wies den Widerspruch durch Widerspruchsbescheid vom 09.03.2015 zurück. Sie bezog sich für ihre Rechtsauffassung auf das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 29.07.2014 (L 8 SO 212/11). Danach gehöre das AFÖG nicht zum Arbeitsentgelt der WfbM gem. § 139 Abs. 2 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) und könne daher nicht Grundlage der Berechnung des Freibetrages nach § 82 Abs. 3 Satz 2 SGB XII sein.

Dagegen hat die Klägerin am 30.03.2015 Klage erhoben: Aus der Berechnung der Beklagten ergebe sich ein monatlicher Minderbetrag von 6,50 EUR zu ihren Ungunsten. Berechne man den Freibetrag nach § 82 Abs. 3 Satz 2 SGB XII wie das LSG Berlin-Brandenburg, indem man zum Bruttoentgelt der WfBM nicht nur das Arbeitsentgelt, sondern auch das AFÖG rechne, so ergebe sich statt des von der Beklagten ermittelten anzurechnenden Einkommens von 13,01 EUR lediglich ein solches von 6,51 EUR.

Die Klägerin beantragt

die Beklagte unter entsprechender Abänderung des Bescheides vom 17.12.2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 09.03.2015 zu verurteilen, ihr für die Zeit vom 01.01. bis 31.12.2015 monatlich weitere 6,50 EUR Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält an ihrer Auffassung fest und verweist auf das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 29.07.2014.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen die Klägerin betreffende Verwaltun...

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