Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Sanktionierung von unterlassenen Bewerbungen als Pflichtverletzung. Zulässigkeit der Kumulierung von Sanktionen bei überlappenden Sanktionszeiträumen. Pflicht zur Zuerkennung von Sachleistungen bei einer Kürzung der Regelleistung. Verstoß gegen das Gebot von Treu und Glauben bei unterbliebener Überlassung von Stellenangeboten durch den Grundsicherungsträger. Kostentragungspflicht im gerichtlichen Verfahren bei unterbliebener Anhörung des Betroffenen im Verwaltungsverfahren

 

Orientierungssatz

1. Die Annahme einer wiederholten Pflichtverletzung als Grundlage einer erneuten Sanktionsentscheidung setzt nicht voraus, dass in Bezug auf die frühere Pflichtverletzung ein bestandskräftiger Sanktionsbescheid vorliegt.

2. Auch wenn ein Grundsicherungsträger einem Empfänger von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende selbst keine Stellenangebote zur Verfügung gestellt hat, stellt ein Sanktionsbescheid wegen Verletzung der in einer Eingliederungsvereinbarung enthaltenen Pflicht zum monatlichen Nachweis von Bewerbungen jedenfalls dann keine Verletzung des Gebotes von Treu und Glauben dar, wenn jedenfalls seit dem Abschluss der Eingliederungsvereinbarung und der erstmaligen Pflichtverletzung nur ein kurzer Zeitraum liegt (hier: sechs Wochen).

3. Überlappen sich zwei Sanktionszeiträume im Rahmen der Gewährung von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende aufgrund von in kurzem Abstand erfolgten wiederholten Pflichtverletzungen des Grundsicherungsempfängers, so können die Sanktionen kumuliert werden, so dass sich der Minderungsbetrag bezogen auf die Regelleistungen weiter erhöht (hier: 90 Prozent).

4. Verfügt ein Grundsicherungsempfänger über ein eigenes Monatseinkommen aus Erwerbstätigkeit, dass ihm jedenfalls in einem gewissen Umfang Barmittel verschafft (hier: 200 Euro) und ist auch der Krankenversicherungsschutz gesichert, so muss ein Sanktionsbescheid auch dann, wenn er zu einer nahezu vollständigen Absenkung der Regelleistung führt, nicht notwendig mit einer Zuerkennung ergänzender Sachleistungen versehen werden.

5. Hat ein Grundsicherungsträger vor Erlass eines belastenden Verwaltungsaktes eine Anhörung des Betroffenen unterlassen und wurde diese erst im gerichtlichen Verfahren wirksam nachgeholt, so kann ihm auch im Falle der Klageabweisung auferlegt werden, die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu tragen, da er insoweit zur Klage Anlass gegeben hat.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach.

Die Berufung wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit von Sanktionen zum Nachteil des Klägers in Höhe von 90% für den Zeitraum vom 01.09.2012 bis 31.10.2012 streitig.

Der am 00.00.0000 geborene Kläger lebt mit seiner Partnerin sowie zwei Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft und bezieht Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).

Am 06.06.2012 schlossen der Kläger und der Beklagte für die Zeit vom 06.06.2012 bis zum 05.12.2012, längstens bis zum Ende des Leistungsanspruchs, eine Eingliederungsvereinbarung, in der sich der Kläger insbesondere dazu verpflichtete, sich regelmäßig und im Schnitt achtmal pro Kalendermonat - schriftlich, telefonisch und durch persönliche Vorsprache - um eine Arbeitsstelle zu bewerben, diese Eigenbemühungen festzuhalten und in Form von "Aktionsplänen" unaufgefordert jeweils zum Monatsersten (d.h. zum 01.07.2012, 01.08.2012, 01.09.2012, 01.10.2012, 01.11.2012, 01.12.2012) bei dem Beklagten vorzulegen. Im Gegenzug verpflichtete sich der Beklagte, dem Kläger Beratungsgespräche anzubieten, ihn durch die Übernahme von Bewerbungskosten bzw. bei Vorliegen der Voraussetzungen durch die Gewährung von Eingliederungszuschüssen zu unterstützen sowie den Kläger regelmäßig für geeignete Stellen vorzuschlagen. Die Eingliederungsvereinbarung enthielt außerdem die Belehrung des Klägers über Folgen von Verstößen gegen die in ihr festgelegten Pflichten, namentlich eine Absenkung des für den Kläger maßgeblichen Regelbedarfs im Falle eines ersten Verstoßes um 30% sowie um 60% im Wiederholungsfall.

Mit Bescheid vom 16.07.2012 minderte der Beklagte den für den Kläger gemäß § 20 SGB II maßgeblichen Regelbedarf erstmalig um 30 %, d.h. um einen Betrag von 101,10 EUR pro Monat, für einen dreimonatigen Zeitraum vom 01.08.2012 bis zum 31.10.2012 wegen einer Pflichtverletzung des Klägers aus der am 06.06.2012 abgeschlossenen Eingliederungsvereinbarung. Der Kläger habe den monatlich vorzulegenden Aktionsplan nicht, wie in der Eingliederungsvereinbarung vorgesehen, zum 01.07.2012 beigebracht. In dem Bescheid wurde der Kläger gleichzeitig auf die Daten zur Einreichung der nächsten Aktionspläne hingewiesen sowie darauf, dass

"bei der ersten wiederholten Pflichtverletzung ohne wichtigen Grund nach § 31 SGB II das Arbeitslosengeld gem. § 31a Abs. 1 unabhängig von der in der ersten Stufe (bereits) erf...

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