Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Rechtswidrigkeit der Aufhebung der Leistungsbewilligung. kein Leistungsausschluss wegen Ortsabwesenheit. Auslandsaufenthalt zur Pflege Angehöriger. wichtiger Grund
Leitsatz (amtlich)
Keine Aufhebung der Leistungsbewilligung bei Auslandsaufenthalt zur Pflege einer nahen Angehörigen.
Tenor
1. Der Bescheid des Beklagten vom 29. Mai 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Februar 2016 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte hat die gesamten außergerichtlichen Kosten der Klägerin und die außergerichtlichen Kosten des vormaligen Klägers zu 2. im Vorverfahren zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Rückforderung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende für den Zeitraum 6. August bis 30. September 2014 in Höhe von noch 1.447,54 EUR.
Die 1962 geborene Klägerin und ihr 2006 geborener Sohn, der frühere Kläger zu 2., beziehen seit Längerem Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom beklagten Jobcenter. Für den Zeitraum August 2014 bis Januar 2015 wurden Leistungen von monatlich 707,04 EUR mit Bescheid vom 16. Juni 2014 bewilligt.
Am 25. August 2014 wurde per E-Mail beim Beklagten von der Klägerin die Genehmigung einer Ortsabwesenheit beantragt. Diese wurde zunächst vom 28. August bis zum 12. September, später bis zum 15. September 2014 genehmigt. Im September 2014 teilte die Klägerin außerdem mit, sie sei wegen Rückenschmerzen krankgeschrieben und könne nicht aus Paraguay zurückfliegen. Dazu legte sie später ein Attest des Dr. S. (dortiger Arzt) vom 22. September 2014 vor, wonach die Klägerin unter akuten Rückenschmerzen leide, bis 31. Oktober 2014 nicht belastbar sei und auch nicht fliegen könne.
Wie sich später ergab, waren die Klägerin und ihr Sohn am 6. August 2014 nach Paraguay eingereist und am 4. Mai 2015 wieder nach Deutschland zurückgekehrt.
Unter dem 12. Mai 2015 hörte der Beklagte zu einer Rückforderung von Leistungen an. Die Klägerin teilte mit, sie sei nach Paraguay geflogen, weil sie einen Anruf ihres Schwagers erhalten habe, dass es ihrer Schwester schlecht gehe und diese ihre Hilfe benötige.
Der Beklagte hob mit Bescheid vom 29. Mai 2015 die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 6. August bis zum 30. September 2014 auf und forderte von der Klägerin 1.447,54 EUR und vom Sohn der Klägerin 146,91 EUR zurück. Beide seien am 6. August 2014 ausgereist, ohne dies vorher mit dem Jobcenter abzusprechen. Erst am 25. August 2014 sei per Mail die Genehmigung einer Ortsabwesenheit beantragt worden. Die Entscheidung sei mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, da eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten sei. Außerdem sei zumindest grob fahrlässig die Mitteilungspflicht verletzt worden und die Klägerin wusste oder hätte wissen müssen, dass der zuerkannte Anspruch ganz oder teilweise weggefallen sei.
Im Widerspruch wurde geltend gemacht, eine Zustimmung zur Ortsabwesenheit sei nur für erwerbsfähige Hilfebedürftige erforderlich. Die Klägerin sei zudem in einer Notsituation nach Paraguay gereist wegen der akuten Suizidalität ihrer Schwester und der Überforderung des Schwagers. Eine Vermittlung der Klägerin habe ohnedies nicht angestanden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 4. Februar 2016 änderte der Beklagte den Bescheid vom 29. Mai 2015 dahin, dass die Erstattung der 146,91 EUR durch den Sohn der Klägerin entfiel, und wies im Übrigen des Widerspruch zurück. Erst am 11. Mai 2015 sei bekannt geworden, dass die Klägerin mit ihrem Sohn bereits sei am 6. August 2014 nach Paraguay geflogen sei. Die vorherige Zustimmung habe sie entgegen gesetzlicher Verpflichtung und Belehrung nicht eingeholt. Die Ortsabwesenheit sei auch nicht ab 8. September 2014 wegen Arbeitsunfähigkeit unbeachtlich geworden. Denn maßgebend sei der Verstoß gegen die Pflicht zur Erreichbarkeit. Erst wenn diese wiederhergestellt sei, entfalle der Leistungsausschluss. Ihre Mitteilungspflichten habe die Klägerin grob fahrlässig verletzt und hätte auch wissen müssen, dass ihr ab 6. August 2014 kein Anspruch mehr auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zustehe. Damit seien die Leistungen an die Klägerin für den Zeitraum 6. August bis 30. September 2014 ebenso wie die Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge in diesem Zeitraum zu erstatten.
Dagegen ist für die Klägerin und ihren Sohn durch ihre Prozessbevollmächtigten am 11. Februar 2016 Klage zum Sozialgericht Reutlingen erhoben worden. Dieses hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 1. März 2016 an das Sozialgericht Augsburg verwiesen, wo er am 9. März 2016 erfasst worden ist.
Zur Klagebegründung ist vorgetragen worden, dass der Leistungsausschluss wegen Ortsabwesenheit nur erwerbsfähige Leistungsberechtigte betreffe. Dann seien die Kosten der Unterkunft und Heizung aber abweichend vom Kopfteilprinzip auf die verbliebenen Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft umzulegen. Deswegen seien die Unterkunftskosten voll übernehmen. Zudem sei der Sohn der Klägerin über diese familienversichert in der gesetzlichen Krankenver...