Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Aufenthaltsrecht durch Familiennachzug
Leitsatz (amtlich)
Verwandte (hier Tochter) über 21 Jahre ist Familienangehörige, wenn sie vom Vater unterhalten wird, indem ihr Unterkunft und Verpflegung zur Verfügung gestellt werden.
Tenor
I. Der Beklagte wird unter Abänderung seines Bescheids vom 25. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. September 2017 dem Grunde nach verpflichtet, der Klägerin Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von September 2017 bis August 2018 zu bewilligen.
II. Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts ab September 2017.
Die am 1996 geborene Klägerin ist rumänische Staatsangehörige und bezog seit Längerem zusammen mit ihrem 1970 geborenen Vater und ihrer jüngeren Schwester, beide ebenfalls Rumänen, laufende Leistungen zur Sicherung des Lesbenunterhalts vom Beklagten. Zuletzt hatte der Beklagte Leistungen, auch an die Klägerin, bis August 2017 bewilligt. Im Juli 2017 wurde die Weiterbewilligung der Leistungen an die Bedarfsgemeinschaft beantragt.
Daraufhin bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 25. Juli 2017 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts von September 2017 bis August 2018 nur für den Vater und die Schwester der Klägerin. Die Klägerin sei von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen, weil sie nun 21 Jahre alt und damit keine Familienangehörige mehr sei. Ein Daueraufenthaltsrecht habe sie nicht, weil sie sich erst seit August 2014 in Deutschland aufhalte.
Der Widerspruch wurde damit begründet, die Klägerin sei schwanger und beginne ab September eine Berufsausbildung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. September 2017 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Die Klägerin absolviere keine Weiterbildung, sondern eine sprachliche Bildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht. Daher sei sie nicht Auszubildende, sondern Schülerin.
Dagegen hat die Klägerin am 21. September 2017 Klage zum Sozialgericht Augsburg erhoben. Sie sei hier schulpflichtig und im fünften Monat schwanger. Sie besuche weiterhin die Berufsschule. Wie solle sie ihren Lebensunterhalt finanzieren? Bisher sei sie in einer Bedarfsgemeinschaft mit ihrer Familie gewesen. Diese erhalte nun weniger Leistungen, müsse sie aber verpflegen.
Der Beklagte hat erwidert, der Klägerin stehe jedenfalls kein Daueraufenthaltsrecht zu, weil Nachweise über den Aufenthalt im Inland erst ab 2014 vorlägen.
In der mündlichen Verhandlung hat der Vater der Klägerin als Zeuge im Wesentlichen ausgesagt, dass er bereits seit 1990 in Deutschland sei, derzeit eine Beschäftigung ausübe und die Klägerin verpflege. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Die Klägerin beantragt:
Der Beklagte wird unter Abänderung seines Bescheids vom 25. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. September 2017 verpflichtet, der Klägerin für den Zeitraum von September 2017 bis August 2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu bewilligen.
Für den Beklagten wird beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Gerichts- und Behördenakten sowie die Niederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.
Die Klägerin hat dem Grunde nach gegen den Beklagten auch ab 1. September 2017 weiterhin Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Soweit der Bescheid des Beklagten vom 25. Juli 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13. September 2017 dem entgegensteht, ist er rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, so dass er abzuändern ist.
Die Klägerin ist auch ab September 2017 anspruchsberechtigt nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II). Sie ist insbesondere nicht wegen § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II (in der Fassung des Gesetzes vom 22. Dezember 2016, BGBl. I, S. 3155) von Leistungen ausgeschlossen.
Die Klägerin erfüllt nach wie vor die Voraussetzungen nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Sie ist älter als 15 Jahre, überschreitet aber die Altersgrenze nach § 7a SGB II nicht, sie ist erwerbsfähig, hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland und ist hilfebedürftig. Letztgenannte Voraussetzung nimmt das Gericht an, weil nicht durchgehend bedarfsdeckende Mittel ersichtlich sind. Die Klägerin bildet wegen § 7 Abs. 3 SGB II eine Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Vater und ihrer jüngeren Schwester. Diese erhalten aktuell existenzsichernde Leistungen vom beklagten Jobcenter und die Klägerin bezog diese bis einschließlich August 2017. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass sich die finanzielle Lage der Klägerin inzwischen derart verändert hätte, dass sie nicht mehr bedürftig im Sinn von § 9 Abs. 1 und 2 SGB II wäre. Insbesondere erbringt die derzeit vom Vater der Klägerin ausgeübte Tätigkeit...