Entscheidungsstichwort (Thema)
Eingruppierung in Qualifikationsgruppe 4 der Anl 13 SGB 6. Tätigkeit als Lagerleiter nach Erwerb der allgemeinen Hochschulreife. fünfjährige Berufserfahrung
Leitsatz (amtlich)
Eine Versicherte, die in Polen nach Erwerb der allgemeinen Hochschulreife als Lagerleiterin tätig war, ist nach fünfjähriger Berufserfahrung in Qualifikationsgruppe 4 der Anl 13 zum SGB VI einzugruppieren.
Orientierungssatz
Auch bei Vorliegen der allgemeinen Hochschulreife kann nicht generell von einem früheren Erlangen der Qualifikation durch langjährige Berufserfahrung und damit von einem atypischen Fall ausgegangen werden. Denn die Allgemeinbildung, die zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife vermittelt wird, unterscheidet sich stark von den Kenntnissen und Fähigkeiten, die im Rahmen einer Berufsausbildung vermittelt werden.
Tenor
I. Die Beklagte wird unter teilweiser Aufhebung des Bescheids vom 18. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. September 2016 verpflichtet, die Bescheide vom 5. Januar 2012 und 18. Mai 2016 teilweise zurückzunehmen und die Altersrente der Klägerin für schwerbehinderte Menschen unter Zuordnung der Zeit vom 1. Februar 1980 bis 31. Januar 1981 in die Qualifikationsgruppe 4 der Anlage 13 zum SGB VI neu festzustellen.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Beklagte hat der Klägerin 1/4 ihrer notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Zuordnung und Bewertung der von der Klägerin in Polen zurückgelegten Beitragszeiten nach der Anlage 13 zum Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI).
Die Klägerin war ab dem 18.10.1968 bis zur Aussiedlung ins Bundesgebiet am 31.05.1988 in ihrem Herkunftsland Polen wie folgt beschäftigt:
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- 18.10.1968 bis 18.06.1969: |
Clubverwalterin (Wirtin, Verlagsgenossenschaft) |
- 04.09.1969 bis 25.06.1972: |
Vorarbeiterin (Flachsindustriebetriebe) |
- 01.01.1973 bis 31.07.1974: |
Vorarbeiterin |
- 02.08.1974 bis 09.04.1975: |
Magazinleiterin (Lagerleiterin der fertigen Produkte, Kohle-Elektrodenbetrieb) |
- 14.08.1975 bis 08.09.1975: |
Magazinleiterin |
- 01.01.1976 bis 30.05.1988: |
Magazinleiterin |
Am 08.04.1971 erwarb sie die allgemeine volkspolnische Hochschulreife.
Die von der Klägerin in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten wurden von der Beklagten mit Bescheid vom 06.01.2005 als glaubhaft gemachte bzw. nachgewiesene Zeiten der Qualifikationsgruppe 5 der Anlage 13 zum SGB VI festgestellt. Mit Bescheid vom 05.01.2012 bewilligte die Beklagte der Klägerin Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab 01.01.2012.
Mit Schreiben vom 09.03.2016 und 18.04.2016 beantragte die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten, den Bescheid vom 05.01.2012 nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) teilweise abzuändern und die von der Klägerin in der ehemaligen Volksrepublik Polen zurückgelegten Pflichtversicherungszeiten jedenfalls ab dem 01.01.1976 in die Qualifikationsgruppe 4 der Anlage 13 zum SGB VI einzustufen sowie den Beschäftigungszeitraum vom 02.08.1974 bis zum 30.05.1988 dem Wirtschaftsbereich 03/Metallurgie der Anlage 14 zum SGB VI zuzuordnen. Die Klägerin habe - in der Endphase berufsbegleitend - am 11.06.1971 die allgemeine volkspolnische Hochschulzugangsreife erworben. Auf der Grundlage des allgemeinbildenden Reifezeugnisses fußende Facharbeiterausbildungen im damaligen Volkspolen seien gängig gewesen und hätten lediglich ein Jahr gedauert. Deshalb sei es zwingend angezeigt, die Höhergruppierung in die Qualifikationsgruppe 4 jedenfalls nach Ablauf des unbezahlten Erziehungsurlaubs für die zweitgeborene Tochter am 31.12.1975 vorzunehmen und bis zur Aussiedlung ins Bundesgebiet am 31.05.1988 beizubehalten.
Die Beklagte stellte daraufhin mit Bescheid vom 18.05.2016 die Altersrente der Klägerin für schwerbehinderte Menschen nach § 44 SGB X neu fest. Sie legte dabei ab dem 01.02.1981 die Qualifikationsgruppe 4 zu Grunde und ordnete die Tätigkeit vom 02.04.1974 bis 30.05.1988 dem Wirtschaftsbereich 01 zu. Im Übrigen lehnte sie es ab, den Bescheid vom 05.01.2012 zurückzunehmen. Die Einordnung in die Qualifikationsgruppe 4 setze den vorherigen Abschluss einer entsprechenden Facharbeiterqualifikation (in der Regel drei Jahre) oder eine längere mehrjährige Berufstätigkeit voraus. Der Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten neben der Arbeit dauere üblicherweise wesentlich länger als eine gezielte Unterrichtung und setze daher die doppelte Zeit gegenüber einer adäquaten Ausbildung voraus. Bei der Qualifikationsgruppe 4 sei von einer vollwertigen Tätigkeit nach sechs Jahren auszugehen. Die Klägerin sei ab 02.08.1974 als Lagerleiterin beschäftigt gewesen. Der Zeitraum von sechs Jahren habe sich durch Zeiten des Mutterschutzes vom 10.04.1975 bis 13.08.1975 sowie des Erziehungsurlaubs vom 09.09.1975 bis 31.12.1975 verlängert. Die vorherigen Tätigkeiten als Vorarbeiterin könnten für die Ausübung einer vollwertigen Tätigkeit nicht zusammengefasst und nicht bei der Beurteilung einer vollwertigen Tätigkeit von 72 Monaten mitgezählt...