Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Verordnungsfähigkeit von "Lorenzos Öl". Arzneimittelrichtlinien. planwidrige Regelungslücke
Orientierungssatz
1. Die Kosten für die Behandlung einer Adrenomyeloneuropathie (AMN) mit den Spezialölen Glycerol-Trioleat und Glycerol-Trierucat (Lorenzos Öl) gehen zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen.
2. Die bislang nicht erfolgte entsprechende Empfehlung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen im Rahmen der Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB 5 stellt eine planwidrige Regelungslücke dar, die durch eine entsprechende Anwendung des § 31 Abs 1 S 2 SGB 5 aufzufüllen ist.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Kostenübernahme für die Spezialöle Glycerlol-Trioleat und Glycerol-Trierucat (Lorenzos Öl) streitig.
Der 1953 geborene, bei der Beklagten versicherte Kläger leidet an einer Adrenomyeloneuropathie (AMN). Dabei handelt es sich um eine seltene genetisch bedingte Stoffwechselerkrankung, die einen gestörten Abbau sehr langkettiger Fettsäuren zur Folge hat, wodurch es zu Schädigungen des Blutplasmas, des Gehirns und der Nebennierenrinde kommt. Ebenso treten Schädigungen im Bereich des Rückenmarks und des peripheren Nervens auf.
Der Kläger wird seit 1995 mit Lorenzos Öl behandelt, wobei die Einnahme körpergewichtsadaptiert nach den Vorgaben des Neurologen H., Chefarzt der Neurologischen Abteilung des Sächsischen Krankenhauses I., erfolgt. Er bezieht Lorenzos Öl von der Firma J., K., in L. Der aktuelle Verkaufspreis für sechs Flaschen a 500 ml beträgt 1.007,10 EUR zzgl. Mehrwertsteuer, wobei die Tagesdosis bis zu 75 ml beträgt. Die Kosten für Lorenzos Öl wurden von der Beklagten seit 1995 übernommen.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 26.11.2003 teilte die Beklagte dem Kläger mit, eine weitere Kostenübernahme sei nicht möglich. Die bisherige "Kulanzentscheidung" verliere mit diesem Schreiben ihre Gültigkeit. Bei Lorenzos Öl handele es sich um ein "Nichtarzneimittel und Diätetika", also um ein Lebensmittel, das nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden könne.
Hiergegen legte der Kläger unter Vorlage eines befürwortenden Schreibens des Herrn H. vom 02.12.2003 mit beigefügtem Vortrag "X-chromosomale Adrenoleukodystrophie - Diagnostik und Therapie im Erwachsenenalter" sowie weiterer Bescheinigungen des Herrn M. vom 02.12.2003 und des Neurologen N. vom 05.12.2003 Widerspruch ein. Die Beklagte holte daraufhin Gutachten des Facharztes für Innere Medizin Dr. O., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK), vom 28.05. und 15.06.2004 ein. Dieser gelangte nach einer Internet-Recherche zu dem Ergebnis, dass durch die Anwendung von Lorenzos Öl verbunden mit einer fettarmen Diät eine Erniedrigung der langkettigen Fettsäuren erreicht werden könne. In den bisher durchgeführten Studien, insbesondere zur Anwendung bei Erwachsenen mit AMN, sei jedoch nicht nachgewiesen worden, dass durch diese Senkung der langkettigen Fettsäuren auch ein therapeutischer Nutzen für die Patienten habe erreicht werden können. Insofern sei eine medizinische Notwendigkeit nicht gegeben. Leistungsrechtlich handele es sich bei Lorenzos Öl nicht um ein Arznei-mittel. Als Nahrungsergänzungsmittel werde es in den entsprechenden Arzneimittelrichtlinien nicht erwähnt, so dass eine Ausnahmeindikation für die Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung nicht gegeben sei. Eine Ausnahmesituation, in der innerhalb weniger Wochen ohne Anwendung der fraglichen Methode voraussichtlich eine weitere Verschlimmerung mit Todesfolge eintrete oder eine schwere irreversible Behinderung oder Pflegebedürftigkeit, sei bei dem chronischen Verlauf der Erkrankung nach ärztlichem Ermessen nicht gegeben. Aufgrund dieser Beurteilung wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.07.2004 als unbegründet zurück.
Hiergegen richtet sich die am 04.08.2004 erhobene Klage. Vorgelegt wird eine Bescheinigung der Fachärzte für Allgemeinmedizin Drs. P. vom 14.10.2004, wonach durch die Therapie mit Lorenzos Öl eine Besserung eingetreten und bei ihrem Abbruch mit einer drastischen Verschlechterung zu rechnen sei.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 26.11.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.07.2004 zu verurteilen, die Kosten seine Behandlung mit den Spezialölen Glycerlol-Trioleat und Glycerol-Trierucat (Lorenzos Öl) zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Bescheide für zutreffend und ist im Übrigen der Auffassung, dass eine Kostenübernahme im Hinblick auf eine Gesetzesänderung zum 01.01.2004 (§ 34 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V -) von vorneherein ausgeschlossen sei.
Das Gericht hat einen Befundbericht des behandelnden Neurologen M. vom 14.12.2004 beigezogen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie des Beweisergebnisses wird auf die Verwaltungs- und Prozessakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen...