Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. Nachrang der Sozialhilfe. Erhalt eines Wohngruppenzuschlags nach § 38a SGB 11. keine Anrechnung auf die Hilfe zur Pflege. keine Leistungskongruenz
Leitsatz (amtlich)
1. Der Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB 11, der einem pflegebedürftigen Menschen in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft bewilligt wird, ist nicht auf die Hilfen zur Pflege nach §§ 61 ff SGB 12 anzurechnen.
2. Es besteht kein Nachrang der Sozialhilfe. Zwischen dem Wohngruppenzuschlag und den Hilfen zur Pflege besteht - anders als bei den Pflegesachleistungen - keine Leistungskongruenz.
Tenor
I. Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit ab 2. April 2014 bis zum rechtkräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, längstens jedoch bis zum 31. Oktober 2014, vorläufig Hilfen zur Pflege ohne Anrechnung des Wohngruppenzuschlags nach § 38a SGB XI zu bewilligen.
II. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin deren außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
III. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe bewilligt und Herr Rechtsanwalt S. L. beigeordnet.
Gründe
I.
Mit dem am 2. April 2014 gestellten Antrag begehrt die Antragstellerin, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr Leistungen der Hilfen zur Pflege nach §§ 61 ff. Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ohne Anrechnung des Wohngruppenzuschlags nach § 38a Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) zu gewähren.
Die 1925 geborene Antragstellerin hat folgende gesundheitliche Einschränkungen: Osteoporose, Fettleber, schizoide Psychose mit leichten Tremor und Dyskinesie, insulinpflichtige Diabetes mellitus, Adipositas und Belastungsdyspnoe, Antriebsminderung und Teilharninkontinenz.
Die Antragstellerin ist pflegeversichert bei der Siemens Betriebskrankenkasse (Pflegekasse). Seit 1. Oktober 2013 erhält sie Pflegesachleistungen der Pflegestufe II in Höhe von 1.250 Euro monatlich. Darüber hinaus gewährte die Pflegekasse der Antragstellerin wegen ihrer eingeschränkten Alltagskompetenz - zuletzt mit Bescheid vom 25. Juni 2013 - zusätzliche Betreuungsleistungen nach §§ 45a und b SGB XI in Höhe von 100 Euro monatlich.
Die Antragstellerin hat Einkommen aus Betriebsrente (99,93 Euro) der S.AG, aus Alters- und Hinterbliebenenrente (149,59 Euro und 669,57 Euro).
Sie wohnt seit November 2010 in einem Zimmer einer ambulant betreuten Wohngruppe “V.„ (WG) unter der im Rubrum bezeichneten Adresse. In der WG wohnen insgesamt acht ältere Menschen. Die Antragstellerin wird vom Pflegedienst J.GbR gepflegt (Pflegedienst). Der Pflegedienst und die Antragstellerin schlossen am 3. Juni 2010 einen Vertrag über ambulante pflegerische Versorgung. Art, Häufigkeit und Umfang der zu erbringenden Leistungen werden - zumeist jährlich - neu in einem Modulbogen vereinbart.
Die Antragstellerin bevollmächtigte am 2. Januar 2011 ihre Tochter, Frau D. O., gegenüber dem Antragsgegner, “sich um die Belange für das Bezirksamt-Sozialamt zu kümmern.„
Die Antragstellerin erhält seit Ende 2010 vom Antragsgegner Hilfen zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des SGB XII, die bis Oktober 2013 zunächst in Einzelleistungskomplexen bewilligt wurden. Laufende Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII erhält sie nicht. Ergänzende einmalige Leistungen erhielt sie nur, soweit sie jeweils durch eine Betriebs- und Heizkostennachforderung im Fälligkeitsmonat hilfebedürftig wurde.
Mit Bescheid vom 3. Juni 2013 bewilligte die Pflegekasse der Antragstellerin einen Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI in Höhe von 200 Euro monatlich ab dem 1. März 2013 “für die Bezahlung der von Ihnen benannten Präsenzkraft. Diese Pflegekraft übernimmt in der Wohngruppe organisatorische, verwaltende oder pflegerische Tätigkeiten.„ Als Präsenzkraft benannte die Antragstellerin gegenüber der Pflegekasse Frau M. S. (Präsenzkraft), die beim Pflegedienst beschäftigt ist. Ferner nannte die Antragstellerin in ihrem Antrag vom 5. März 2013 gegenüber der Pflegekasse drei weitere Mitbewohner, die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung erhalten.
Die Antragstellerin und der Pflegedienst trafen am 11. Juli 2013 bzw. 18. Juli 2013 eine weitere “Vereinbarung über Organisations- und Verwaltungsleistungen in Wohngemeinschaften„. Punkt 2 der Vereinbarung bestimmt, dass die Antragstellerin den Pflegedienst über den Umfang des Pflegevertrages hinaus mit organisatorischen und verwaltenden Tätigkeiten (laut Anlage 1) zur Unterstützung der Erhaltung ihrer Eigenständigkeit in der WG beauftragt. Unter Punkt 2 vereinbarten die Vertragsparteien eine pauschale Vergütung von 150 Euro monatlich, wobei sie auf eine Nachweisführung der einzelnen Leistungen verzichteten. In Punkt 3 verpflichtete sich die Antragstellerin zur finanziellen Absicherungen der Tätigkeiten, einen Wohngruppenzuschlag nach § 38a SGB XI zu beantragen. In der Anlage 1 zur Vereinbarung sind die von der Präsenzkraft zu erledigenden Organisations- und Verwaltungsaufgaben benannt...