Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Leistungsbeschränkung bei Selbstverschulden. Explantation von Brustimplantaten. Kostenbeteiligung. Verfassungsmäßigkeit des § 52 Abs 2 SGB 5
Leitsatz (amtlich)
Die Regelung des § 52 Abs 2 SGB 5, wonach die Krankenkasse Versicherte, die sich eine Krankheit durch eine medizinisch nicht indizierte ästhetische Operation, eine Tätowierung oder ein Piercing zugezogen haben, in angemessener Höhe an den Kosten zu beteiligen hat, ist verfassungsgemäß (Anschluss an SG Berlin vom 10.12.2013 - S 182 KR 1747/12).
Nachgehend
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Beteiligung der Klägerin an den Kosten einer Krankenhausbehandlung zur Entfernung von Brustimplantaten.
Die 1988 geborene Klägerin ist versicherungspflichtiges Mitglied der beklagten Krankenkasse. Sie ist ledig und hat ein unterhaltsberechtigtes Kind. Ihr jährliches Bruttoeinkommen als angestellte Arbeitnehmerin betrug im Jahr 2017 60.224,78 EUR.
Im Juni 2017 unterzog sich die Klägerin einer von ihr selbst finanzierten medizinisch nicht indizierten, ästhetischen Operation zur Brustvergrößerung (Mammaugmentationsplastik). Im Oktober 2017 erfolgte wegen Wundheilungsstörungen mit Serom und einer Nahtdehiszenz ein Implantatwechsel. Diese Behandlung wurde nicht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung durchgeführt und abgerechnet. Am 15. November 2017 wurde die Klägerin wegen erneuter Komplikationen als Folge der Mammaugmentationsplastik (perforierte Mammaimplantate, Wundheilungsstörungen bei Entstehung eines Seroms und Nahtdehiszenz) als Notfall in die E.Klinik B. aufgenommen und dort vollstationär bis zum 18. November 2017 behandelt. Im Rahmen dieser Behandlung wurden unter anderem die Brustimplantate entfernt.
Die Beklagte zahlte am 19. Dezember 2017 an das Krankenhaus die Vergütung für die vollstationäre Behandlung vom 15. bis 18. November 2017 in Höhe des auf der Grundlage der einschlägigen Fallpauschale (DRG J24B) abgerechneten Betrages von insgesamt 4.589,80 EUR.
Nach erfolgter Anhörung und Befragung der Klägerin zu ihren Einkommensverhältnissen forderte die Beklagte von der Klägerin mit Bescheid vom 12. März 2018 für die vorgenannte Krankenhausbehandlung eine Eigenbeteiligung in Höhe von 2.294,90 EUR. Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20. Juni 2018 zurück. Zur Begründung berief sich die Beklagte auf § 52 Abs. 2 SGB V. Die durchgeführte Brustimplantatentfernung stelle eine notwendige Folgebehandlung einer medizinisch nicht indizierten ästhetischen Operation da, an deren Kosten die Klägerin in angemessener Höhe zu beteiligen sei. Den ihr hinsichtlich des konkreten Umfangs der Eigenbeteiligung zustehenden Ermessensspielraum nutze die Beklagte dahingehend, dass sie bei der Höhe der Kostenbeteiligung neben der Höhe der Leistungsaufwendungen auch die finanziellen Verhältnisse und gegebenenfalls Unterhaltsverpflichtungen der Klägerin berücksichtige. Nach Auffassung der Spitzenverbände der Krankenkassen trage grundsätzlich eine hälftige Kostenbeteiligung dem Willen des Gesetzgebers Rechnung, was sich aus anderen gesetzlichen Regelungen, etwa im Hinblick auf die Beteiligung an Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung, ableiten lasse. Um die Angemessenheit zu gewährleisten, sei zudem die individuelle finanzielle Belastbarkeit der Versicherten zu berücksichtigen und der Eigenanteil auf eine dem Versicherten zumutbare Belastung zu begrenzen. Die Ermittlung des maximal zumutbaren Selbstbehalts erfolge in analoger Anwendung des § 33 Abs. 3 EStG. Wenn der danach berechnete prozentuale Anteil der Bruttoeinnahmen zum Lebensunterhalt der Klägerin einen geringeren Wert gegenüber dem 50-prozentigen Kostenanteil ergebe, beschränke sich der zumutbare Selbstbehalt auf diesen Einkommensbruchteil. Unter Berücksichtigung der von der Klägerin nachgewiesenen Einkünfte ergebe sich danach vorliegend ein zumutbarer Eigenanteil von 2.408,99 EUR (4 Prozent von 60.224,78 EUR). Diese individuelle Belastungsgrenze überschreite der geforderte Betrag von 2.294,90 EUR nicht.
Am 25. Juni 2018 hat die Klägerin Klage erhoben. Sie ist der Ansicht, der angefochtene Bescheid der Beklagten sei rechtswidrig, weil die zu Grunde liegende gesetzliche Ermächtigung in § 52 Abs. 2 SGB V gegen Art. 2 und 3 GG verstoße und damit verfassungswidrig sei. Soweit die 182. Kammer des Sozialgerichts Berlin in dem Urteil vom 10. Dezember 2013 (S 182 KR 1747/12) die Verfassungsmäßigkeit bejaht habe, habe es einen Verstoß gegen Art. 3 GG nur unzureichend geprüft. Es habe schon eine unzureichende Vergleichsgruppe gebildet, indem es insbesondere Menschen, die sich eine Krankheit vorsätzlich oder bei einem von ihnen begangenen Verbrechen oder Vergehen zugezogen haben sowie Personen, die sich anderweitig bewusst besonderen gesundheitlichen Risiken au...