Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Übergangsregelung. Aufrechnung mit Ansprüchen des Sozialhilfeträgers. Beginn der Aufrechnungsfrist
Orientierungssatz
1. Bei der Aufrechnungsfrist iS von § 65e S 2 SGB 2 wird allein auf den Zeitraum der Leistungserbringung nach dem SGB 2 und nicht auf das Bestehen einer gesetzlichen Aufrechnungslage abgestellt. Hierbei handelt es sich um eine Aufrechnungshöchstdauer, mit der geregelt wird, wie lange maximal mit einer Gegenforderung aufgerechnet werden darf, und nicht um eine bloße Aufrechnungsfrist, innerhalb derer die Aufrechnung erklärt werden muss (vgl LSG Hamburg vom 30.7.2007 - L 5 B 263/07 ER AS = EuG 2007, 513 = FEVS 59, 18).
2. Für die Auffassung, dass die Zweijahresfrist erst mit dem Inkrafttreten der Norm zu laufen beginne (vgl LSG Essen vom 19.9.2007 - L 19 B 72/07 AS ER = NDV-RD 2008, 38 = FEVS 58, 208), findet sich weder im Gesetzeswortlaut noch in der -begründung eine Stütze.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Aufrechnung des Anspruchs des Klägers auf Arbeitslosengeld (Alg) II mit einer Rückforderung wegen zu Unrecht gewährter Sozialhilfe aus dem Jahr 1999.
Der am 24. Juli 1965 geborene Kläger bezieht vom Beklagten seit dem 1. Januar 2005 durchgehend Alg II. Mit Schreiben vom 22. Januar 2007 stellte das Bezirksamt Neukölln beim Beklagten ein Aufrechnungsersuchen über einen Betrag in Höhe von 1.372,24 €. Über diesen Betrag hatte das Bezirksamt Neukölln am 22. Februar 1999 einen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid wegen zu Unrecht erbrachter Sozialhilfeleistungen erlassen. Nach Anhörung des Klägers erklärte der Beklagte mit dem mit einer Widerspruchsbelehrung versehenen Schreiben vom 24. Mai 2007 ab dem 1. Juli 2007 wegen des vom Bezirksamts Neukölln zurückgeforderten Betrags die Aufrechnung mit dem Anspruch des Klägers auf Alg II in Höhe von 103,50 € monatlich. Den Widerspruch des Klägers vom 7. Juni 2007 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2007 zurück. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass die Aufrechnungsfrist von zwei Jahren erst ab dem 1. August 2006 zu laufen beginne und daher die Aufrechnung bis zum 31. Juli 2008 möglich sei.
Hiergegen richtet sich die am 9. August 2007 erhobene Klage, mit der der Kläger die Rechtswidrigkeit der Aufrechnung geltend macht.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 24. Mai 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2007 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Unter Hinweis auf seine internen Geschäftsanweisungen hält er daran fest, dass die Zweijahresfrist zur Aufrechnung erst mit der Gesetzesänderung zum 1. August 2006 zu laufen begonnen habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte des Beklagten, die vorlag und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung war, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist in Form der Anfechtungsklage zulässig. Ob in der Aufrechnungserklärung des Beklagten ein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 S. 1 SGB X zu sehen ist oder nicht (in Literatur und Rechtsprechung umstritten, vgl. nur Engelmann, in: von Wulffen, SGB X, § 31 Rn. 61), konnte hier offen bleiben. Denn der Beklagte hat durch die Widerspruchsbelehrung im Bescheid und den Erlass des Widerspruchsbescheids, mit dem er den Widerspruch für zulässig erachtet hat, die äußere Form eines (so genannten formellen) Verwaltungsakts gewählt, gegen den die Anfechtungsklage zulässig ist (Engelmann a.a.O., Rn. 62). Form und Frist der Anfechtungsklage sind vorliegend eingehalten worden.
Die Klage ist auch begründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Für die vom Beklagten vorgenommene Aufrechnung im Jahr 2007 fehlt es an einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage.
Rechtsgrundlage für die Entscheidung des Beklagten ist der durch das SGB II-FortentwicklungsG v. 20. Juli 2006 (BGBl. I 1706) mit Wirkung zum 1. August 2006 eingefügte § 65e SGB II. Nach § 65e S. 1 SGB II kann der zuständige Träger der Leistungen nach dem SGB II mit Zustimmung des Trägers der Sozialhilfe dessen Ansprüche gegen den Hilfebedürftigen mit Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach den Voraussetzungen des § 43 Satz 1 aufrechnen. Nach § 43 S. 1 SGB II können Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bis zu einem Betrag in Höhe von 30 vom Hundert der für den Hilfebedürftigen maßgebenden Regelleistung mit Ansprüchen der Träger von Leistungen nach diesem Buch aufgerechnet werden, wenn es sich um Ansprüche auf Erstattung oder Schadensersatz handelt, die der Hilfebedürftige durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige Angaben veranlasst hat.
Ob diese Voraussetzungen, insbesondere die des § 43 S. 1 2. Halbsatz SGB II, in Bezug auf die vom Bezirksamt Neukölln zurückgeforderten Sozialhilfeleistungen vorliegen, kann vorliegend offen bleiben. Denn die vom Beklagten erklärte ...