Entscheidungsstichwort (Thema)
Vergleichsschluss über im Rahmen der Geschäftsführerhaftung nach § 823 Abs 2 BGB iVm § 266a StGB geschuldete Arbeitnehmeranteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag ohne Einvernehmen mit dem beteiligten Rentenversicherungsträger. Schadensersatzanspruch. Schadensumfang
Leitsatz (amtlich)
1. Schließt die Einzugsstelle mit dem aus § 823 Abs 2 BGB iVm § 266a StGB haftenden Geschäftsführer eines Arbeitgebers, der Gesamtsozialversicherungsbeiträge nicht entrichtet hat, einen Vergleich, ohne zuvor Einvernehmen mit dem Rentenversicherungsträger hergestellt zu haben, so kann dieser Schadensersatz wegen Verletzung einer Pflicht aus dem bestehenden öffentlich-rechtlichen Treuhandverhältnis entsprechend § 280 Abs 1 BGB verlangen.
2. Als Schaden im Sinne des § 249 Abs 1 BGB ist dabei der Betrag anzusehen, den der Rentenversicherungsträger hätte beanspruchen können, wenn der schadensersatzpflichtige Geschäftsführer den Schadensersatzanspruch vollständig gegenüber der Einzugsstelle befriedigt hätte. Diese kann sich nicht darauf berufen, es sei deshalb kein Schaden entstanden, weil der titulierte Schadensersatzanspruch wegen Vermögenslosigkeit des Schadensersatzpflichtigen nicht durchsetzbar gewesen wäre.
Nachgehend
Tenor
Die Beklagten wird verurteilt, an die Klägerin 9.126,58 € zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen Schadensersatzanspruch aufgrund eines ohne Einvernehmen der Klägerin von der Beklagten geschlossenen Vergleichs.
Die M. GmbH schuldete der Beklagten für den Zeitraum vom 1. Februar 1997 bis 31. Juli 1997 Gesamtsozialversicherungsbeiträge in Höhe von 182.881,76 DM. Über die GmbH wurde im Oktober 1998 das Gesamtvollstreckungsverfahren eröffnet und am 13. Juni 2008 mangels weiterer kostendeckender Masse durch Beschluss des Amtsgerichts Stendal eingestellt; die GmbH ist im Handelsregister gelöscht; Zahlungen auf die genannten Forderungen erfolgten nicht.
Die beklagte Einzugsstelle nahm den Geschäftsführer der GmbH, Herrn U. M., auf Schadensersatz wegen vorsätzlicher Vorenthaltung und Veruntreuung von Arbeitsentgelt in Anspruch. Mit Versäumnisurteil vom 23. Januar 2002 verurteilte das Landgericht Stendal Herrn M. zur Zahlung von 88.561,18 DM (= 45.280,62 €). Zwischenzeitliche Vergleichsangebote des Schuldners, die auf 2,5 % der Summe gingen, lehnte die Beklagte ab. Verrechnungsersuchen an den klagenden Rentenversicherungsträger blieben erfolglos; der Schuldner gab mehrere eidesstattliche Versicherungen ab. Mit Beschluss des Amtsgerichts Celle vom 15. Dezember 2005 wurde über das Vermögen des Schuldners das (Privat-) Insolvenzverfahren eröffnet, das Ende 2011 bzw. Anfang 2012 mit einer Restschuldbefreiung endete. Die Beklagte hatte im Insolvenzverfahren die Forderung als Forderung aus unerlaubter Handlung angemeldet; hierbei erweiterte sie die Forderung um entstandene Kosten, so dass sich insgesamt 59.551,61 € ergaben. Dem widersprach der Schuldner. Auf die Klage der Beklagten stellte das Landgericht Stendal mit Urteil vom 29. Juni 2007 fest, dass der Widerspruch unbegründet gewesen sei.
Nach Aufforderung zur Zahlung teilte der Schuldner im März 2012 mit, dass er nicht in der Lage sei, Zahlungen auf die Forderung zu leisten. Evtl. könnten seine Eltern etwas leisten. Mit Schreiben vom 25. Mai 2012 schlug er einen Vergleich des Inhalts vor, dass er die Forderung in Höhe von 59.551,61 € nebst weiteren Kosten anerkenne, die Beklagte aber keine Ansprüche aus den Schuldtiteln herleite, soweit er eine Summe in Höhe von 7.000,- in Raten zahle. Mit der Zahlung der Raten seien alle Ansprüche zwischen den Parteien erledigt.
Die Beklagte bat sowohl die Klägerin (als zuständigen Rentenversicherungsträger) als auch die Agentur für Arbeit um Einvernehmen (Schreiben vom 2. Mai 2012). Ohne dass ein schriftliches Einvernehmen erteilte wurde, stimmte sie dann am 4. Juni 2012 dem Vergleichsvorschlag zu. Mit Schreiben vom 4. Juni 2012 versagte die Klägerin und mit Schreiben vom 4. Juli 2012 die Agentur für Arbeit das Einvernehmen.
Mit der am 4. März 2013 erhobenen Klage begehrt die Klägerin wegen des ohne ihr Einvernehmen geschlossenen Vergleichs Schadensersatz. Aufgrund eines bestehenden Treuhandverhältnisses sei die Beklagte verpflichtet gewesen, nach § 76 Abs. 4 des Vierten Sozialgesetzbuchs (SGB IV) ihr Einvernehmen herzustellen. Diese Pflicht habe sie verletzt. Sofern die Schadensersatzforderung vollständig erfüllt worden wäre, hätten der Deutschen Rentenversicherung hieraus insgesamt 18.238,34 € zugestanden; nach dem für 2012 geltenden Verteilungsschlüssel nach § 28k SGB IV entfielen auf sie 54,427 %, das seien 9.926,58 €. Die Beklagte könne dem auch nicht eine fehlende Durchsetzbarkeit der Forderung entgegenhalten. Denn der Schuldner sei noch jung gewesen und habe noch Geld verdienen können. Außerdem verfüge er über Rentenansprüche, die ggf. gepfändet werden könnten. Auch seien ...