Entscheidungsstichwort (Thema)
Rente wegen Todes. Witwenrente. widerlegbare Vermutung. Versorgungsehe. kurze Ehedauer. lebensbedrohliche Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose. konkrete Heiratspläne. Verzögerung wegen fehlender Auslandsdokumente
Leitsatz (amtlich)
1. Die Annahme des anspruchsausschließenden Vorliegens einer Versorgungsehe bei einer Ehedauer von nicht mindestens einem Jahr ist nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten iS des § 46 Abs 2a Halbs 2 SGB 6 ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe für die Heirat insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwiegen oder zumindest gleichwertig sind.
2. Bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten müssen bei der Gesamtbewertung diejenigen besonderen Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen war.
3. Lassen sich bereits mehrere Monate, bevor bei dem Versicherten eine infauste Diagnose gestellt wurde, konkrete Heiratspläne nachweisen, die sich nach einer erfolgten Vorsprache beim Standesamt lediglich wegen der Notwendigkeit, für die Heirat erforderliche Dokumente aus dem Ausland beizubringen, verzögerten, so gilt die Vermutung einer Versorgungsehe als widerlegt.
Orientierungssatz
1. Zum Leitsatz 1 vgl BSG vom 5.5.2009 - B 13 R 55/08 R = BSGE 103, 99 = SozR 4-2600 § 46 Nr 6.
2. Zum Leitsatz 2 vgl BSG vom 5.5.2009 - B 13 R 55/08 R aaO.
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 2016 wird aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin unter Aufhebung des Bescheides vom 21. November 2011 eine Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes nach den gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Streitig zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Witwenrente zu Gunsten der Klägerin aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes. Aus Sicht der Beklagten ist das Vorliegen einer Versorgungsehe nicht widerlegt.
Die im Jahr 1957 geborene Klägerin ist die Witwe des am 25. Dezember 1947 geborenen und am 2. Juni 2011 verstorbenen D. P.
Ausweislich der vor dem Notar W. am 27. April 2011 von D.P. getätigten Angaben hatte er die Klägerin am 3. November 2007 in Berlin kennengelernt und seither mit ihr eine Beziehung geführt. Wegen seiner damals noch nicht geschiedenen Ehe mit Frau B. P. habe er seinerzeit keine konkreten Hochzeitspläne gehabt. Nach Scheidung seiner früheren Ehe am 17. Juli 2009 hätten er und die Klägerin Heiratspläne geschmiedet. Weil die Klägerin im August 2009 an einer Sarkoidose erkrankt sei, hätten die Heiratspläne verschoben werden müssen. Ab Herbst 2010 seien die Planungen für die Hochzeit wieder aufgenommen worden. Da für die aus der Ukraine stammende Klägerin erst die erforderlichen Papiere hätten beschafft werden müssen, sei nochmals viel Zeit verloren gegangen.
Anlässlich einer Krankenhausbehandlung des D. P. vom 17. Dezember bis 21. Dezember 2010 war bei ihm ein Pankreaskopfkarzinom festgestellt worden. Seine Heirat mit der Klägerin fand sodann am 29. März 2011 vor dem Standesamt S. von Berlin statt. Am 2. Juni 2011 verstarb D. P.
Am 22. Juni 2011 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer Witwenrente aus der Versicherung ihres verstorbenen Ehemannes. Sie reichte ein ärztliches Attest des Facharztes für Innere Medizin Dr. M vom 22. Juni 2011 ein, wonach der Tod des D. P. unerwartet eingetreten sei. Weiterhin reichte sie eine Erklärung der Zeugin S.K. vom 26. September 2011 sowie eine Bescheinigung des Standesamtes S. von Berlin vom 26. September 2011 ein.
Mit Bescheid vom 21. November 2011 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Witwenrente aus der Versicherung des verstorbenen D. P. ab, weil die Klägerin mit ihm nicht mindestens ein Jahr verheiratet gewesen und die gesetzliche Vermutung einer sogenannten Versorgungsehe nicht widerlegt worden sei. Der verstorbene Ehemann der Klägerin habe sich vom 26. Mai 2011 bis zu seinem Tod am 2. Juni 2011 wegen eines metastasierenden Pankreaskopfkarzinoms in stationärer Behandlung in den DRK Kliniken B.W. befunden. Die Diagnose sei im Januar 2011 gestellt worden. Nach den Feststellungen ihres sozialmedizinischen Dienstes sei bei der gegebenen Diagnose von einem infausten Leiden auszugehen, so dass bei Diagnosestellung mit dem Tod zu rechnen gewesen sei. Dies gelte erst recht für den Zeitpunkt der Eheschließung am 29. März 2011. Auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten sei der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet zumindest gleichwertig aus anderen als aus Versorgungsgründen g...