Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsärztliche Versorgung. Abrechnungsprüfung. Honorarkürzung wegen Beschäftigung von Weiterbildungsassistenten zur Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs
Orientierungssatz
1. Dem Urteil des BSG vom 28.9.2005 - B 6 KA 14/04 R = SozR 4-5520 § 32 Nr 2 lässt sich nicht entnehmen, dass für die Prüfung eines übergroßen Praxisumfangs, in welcher auf Fallzahlen abgestellt wird, auch das doppelte des Fachgruppendurchschnitts ausschlaggebend sein kann (Abweichung von SG Berlin vom 20.4.2016 - S 22 KA 161/14 = juris RdNr 47).
2. Dem Wortlaut des § 32 Abs 3 Ärzte-ZV ist zu entnehmen, dass zwischen der Vergrößerung der Kassenpraxis oder dem Aufrechterhalten eines übergroßen Praxisumfangs und der Beschäftigung eines Assistenten zumindest ein Ursachenzusammenhang bestehen muss (vgl SG Berlin vom 25.9.2013 - S 83 KA 323/12).
3. Bei der Frage, ob die Beschäftigung eines Weiterbildungsassistenten der Aufrechterhaltung der übergroßen Praxis iSd § 32 Abs 3 Ärzte-ZV dient, trägt die Kassenärztliche Vereinigung die Beweislast (vgl insoweit ausführlich SG Berlin vom 3.9.2014 - S 71 KA 381/13 = juris RdNr 34f).
Tenor
Die Änderungsbescheide zur Honorarfestsetzung für die Quartale I und II/2011 vom 22.06.2015 und 23.09.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.02.2016 werden aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über Honorarkürzungen wegen der Beschäftigung eines Weiterbildungsassistenten zur Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs für die Quartale I/2011 und II/2011 in Höhe von insgesamt - nach Abzug der Verwaltungskosten - 14.113,31 Euro (5.020,77 Euro für I/2011 und 9.092,54 für II/2011).
Der Kläger ist Facharzt für Allgemeinmedizin und nimmt seit dem 01.01.1988 in der H.str., B. an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Die für die streitgegenständlichen Quartal I/2011 und II/2011 erlassenen Honorarbescheide enthielten eine Nebenbestimmung u.a. für Praxen, die Weiterbildungsassistenten beschäftigen: “Für Praxen, die Weiterbildungsassistenten beschäftigen, ist gemäß aktueller BSG-Rechtsprechung zu prüfen, ob durch die Beschäftigung von Weiterbildungsassistenten eine übergroße Praxis (Fälle über dem doppelten des Fachgruppendurchschnitts) aufrechterhalten wird oder ob es zu einer unzulässigen Vergrößerung der Kassenpraxis gekommen ist. Diese Prüfungen sind noch nicht abgeschlossen. Daher ist der Honorarfestsetzungsbescheid für diese Praxen insoweit nur vorläufig„.
Die Fallzahlen des Klägers stellten sich in den streitgegenständlichen Quartalen wie folgt dar: Quartal I/2011 1.803,00 und Quartal II/2011 1.758,00.
Mit Bescheid vom 22.06.2015 nahm die Beklagte für das Quartal I/2011 eine Änderung der Honorarfestsetzung vor und machte - nach Abzug der Verwaltungskosten - eine Honorarrückforderung i.H.v. 5.020,77 Euro geltend. Als Begründung wurde angegeben, dass durch die Beschäftigung eines Weiterbildungsassistenten eine übergroße Praxis aufrechterhalten worden sei. Mit Bescheid vom 23.09.2015 nahm die Beklagte auch für das Quartal II/2011 eine Änderung der Honorarfestsetzung vor und machte eine Honorarrückforderung i.H.v. 9.092,54 Euro geltend. Die dagegen eingelegten Widersprüche begründete der Kläger damit, dass die Kürzungen aufgrund der Beschäftigung der Weiterbildungsassistentin rechtswidrig seien.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.02.2016 wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers zurück. Die vorgenommenen Kürzungen entsprächen den Vorgaben des § 32 Abs. 3 Ärzte-ZV und denen der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts. Die Zahlen wurden im Widerspruchsbescheid wie folgt dargestellt:
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Quartal I/2011 |
Quartal II/2011 |
Tätigkeitsumfang des Arztes |
1,00 |
1,00 |
Fallzahl (aktuell) des Arztes |
1.803,00 |
1.758,00 |
Bruttohonorar des Arztes |
83.817,30 € |
100.442,81 € |
Fallwert (Bruttohonorar/Fallzahl) |
46,49 € |
57,15 € |
Prüfung Praxisumfang (P1) |
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Durchschnittliche Fallzahl WBA-Fachgruppe |
846,12 |
797,53 |
Durchschnittliche Fallzahl WBA-Fachgruppe (gewichtet nach Tätigkeitsumfang) |
846,12 |
797,53 |
Fallzahl maximal (200%) |
1.692,24 |
1.595,06 |
Fallzahlüberschreitung |
110,76 |
162,94 |
Honorarüberschreitung (FZ-Überschreitung x Fallwert) |
5.149,23 € |
9.308,76 |
Arztindividueller Kürzungsfaktor (Bruttohonorar-Honorarüberschreitung/Bruttohonorar) |
0,938566 |
0,907323 |
Am 19.05.2016 hat der Kläger Klage erhoben. Er ist der Auffassung, die angefochtenen Bescheide seien schon aus formellen Gründen rechtswidrig, weil die Beklagte es unterlassen habe, vor Erlass des Bescheides den Kläger gemäß § 24 Abs. 1 SGB X anzuhören. Hätte die Beklagte ein ordnungsgemäßes Anhörungsverfahren durchgeführt, wäre ihr wegen des Ablaufs der Vierjahresfrist voraussichtlich der rechtszeitige Erlass eines Honorarrückforderungsbescheides auf der Grundlage des § 106a SGB V nicht mehr möglich gewesen. Es wäre dann nur eine Rücknahme nach § 45 SGB X in Betracht gekommen, dessen Vorausset...