Entscheidungsstichwort (Thema)
Bundeselterngeld. kein Leistungsausschluss bei Aufenthalt einer Mutter in einer Justizvollzugsanstalt zur Verbüßung einer Strafhaft. tatsächliche Ausübung der elterlichen Sorge. häusliche Gemeinschaft. Begriff des gemeinsamer Haushalts
Orientierungssatz
1. Bei der Auslegung des Begriffs der häuslichen Gemeinschaft im Rahmen von § 1 Abs 1 Nr 2 BEEG ist entscheidend darauf abzustellen, dass die elterliche Verantwortung für die Tochter in tatsächlicher und wirtschaftlicher Hinsicht ausschließlich der Mutter oblag, Hilfen bei der Versorgung des Kindes seitens der Vollzugsbehörde nicht gewährt wurden, Mutter und Tochter während der gesamten Haftzeit nicht getrennt waren und das Kind die maßgebliche emotionale Zuwendung ebenfalls von der Antragstellerin erhielt.
2. Unter einem Haushalt ist die gemeinsame Wirtschaftführung mehrerer zusammenlebender Personen zu verstehen (Duden, Deutsches Universalwörterbuch, 7. Auflage 2011, Stichwort: Haushalt). Dies ist während einer Haftzeit anzunehmen, wenn eine Mutter täglich die Ernährung und Pflege ihrer Tochter, zB durch das Aufwärmen von Fläschchen, Wickeln, An- und Auskleiden etc, besorgt und ihr daneben auch die Verwaltung der ihr zur Verfügung stehenden Mittel (Unterhaltsvorschuss und Kindergeld) für die wirtschaftliche Versorgung ihrer Tochter obliegt.
Tenor
Der Bescheid vom 12. August 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2008 wird aufgehoben.
Der Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu tragen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Berechtigung der Klägerin zum Bezug von Elterngeld nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) während der Zeit einer verbüßten Strafhaft.
Am …. Oktober 2007 gebar die Klägerin ihre Tochter L…, für die sie am 18. Dezember 2007 Elterngeld beantragte.
Mit Bescheid vom 24. Januar 2008 bewilligte der Beklagte Elterngeld in Höhe von 300,00 Euro monatlich für die ersten zwölf Lebensmonate des Kindes.
Am 27. Juni 2008 trat die Klägerin eine mehrmonatige Haftstrafe in der Justizvollzugsanstalt für Frauen des Landes B… an. Auf eigenen Wunsch und auf Grundlage eines mit dem sozialpädagogischen Dienst des Bezirksamtes Friedrichshain-Kreuzberg erstellten Hilfeplanes (Bl. 8 ff. der Gerichtsakten) nahm die Klägerin die Tochter L… während der Haftzeit mit in die Justizvollzugsanstalt. In einem eigenständigen Trakt wurde der Klägerin zu diesem Zweck ein Haftraum mit eigenem Bad und der Möglichkeit der Nutzung einer Küchenzeile zugewiesen, da sie für die tatsächliche Versorgung ihrer Tochter (Füttern, Wickeln usw.) ausschließlich selbst verantwortlich war. Die Klägerin erhielt ab dem 22. Oktober 2008 täglich von 11-19 Uhr Freigang, um zusammen mit der Tochter L… tagsüber die Vollzugsanstalt zu verlassen, um in ihrer beibehaltenen Wohnung auch für ihr älteres Kind - das in dieser Zeit über Nacht bei der Großmutter untergebracht war - zu sorgen. Zuvor war ihr bereits die Berechtigung zum Ausgang zur Erledigung notwendiger Besorgungen erteilt worden. Seitens der Vollzugsanstalt wurden ihr keine finanziellen Leistungen für die Versorgung des Kindes gewährt, hierfür standen der Klägerin lediglich der Unterhaltsvorschuss und das Kindergeld zur Verfügung.
Mit Bescheid vom 12. August 2008 änderte der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 24. Januar 2008 mit Wirkung zum 20. Juli 2008 dahingehend, dass die Bewilligung des Elterngeldes für die Haftzeit aufgehoben wurde.
Voraussetzung für den Anspruch auf Elterngeld sei ein gemeinsamer Haushalt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 BEEG, der in einer Justizvollzugsanstalt ausweislich der Ziff. 1.1.2.2 der ministeriellen Richtlinien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum Elterngeldrecht in einer Justizvollzugsanstalt nicht begründet werden könne.
Hiergegen legte die Klägerin am 22. August 2008 Widerspruch ein.
Die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 2 BEEG seien in ihrem Falle erfüllt. Die Berechtigung zum Bezug von Elterngeld ergebe sich daraus, dass sie innerhalb der Justizvollzugsanstalt mit ihrer Tochter in einem separaten räumlichen Umfeld lebe und für deren Versorgung allein zuständig sei. Auch der Umstand, dass sie selbstständige Ausgänge für notwendige Besorgungen für ihr Kind machen dürfe, spreche für die häusliche Gemeinschaft.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2008 wies der Beklagte den Widerspruch unter Verweis auf die Richtlinien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zurück.
Mit ihrer am 20. November 2008 bei dem Sozialgericht Berlin eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur Klagebegründung nimmt sie auf ihr Vorbringen im Widerspruchsverfahren Bezug.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 12. August 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Oktober 2008 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist zur Begründung auf seine Richtliniengebundenheit und darauf, dass zwischen Untersuchungs- und Strafhaft zu unterscheid...