Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenübernahme eines Navigationssystems für Blinde mit GPS und Sprachausgabe als Behinderungsausgleich
Leitsatz (amtlich)
1. Die Kosten zur Anschaffung eines Navigationssystem für Blinde mit GPS und Sprachausgabe als Hilfsmittel zum Ausgleich direkter oder indirekter Folgen einer Behinderung sind bereits dann von der gesetzlichen Krankenkasse zu übernehmen, wenn dieses Hilfsmittel im Nahbereich um die eigene Wohnung nicht unerhebliche Gebrauchsvorteile bietet (Anschluss und Abgrenzung zu BSG vom 25.6.2009 - B 3 KR 4/08 R = SozR 4-2500 § 33 Nr 26).
2. Zu den nicht unerheblichen Gebrauchsvorteilen können eine höhere Sicherheit im öffentlichen Straßenverkehr und ein völlig selbständiges Bewegen gehören, weil damit die selbständige Lebensführung durch die Unabhängigkeit von fremder Hilfe im Nahbereich spürbar erweitert wird (Anschluss an SG Marburg vom 29.5.2013 - S 6 KR 38/12).
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Juni 2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 31. Juli 2014 verurteilt, das GPS-Navigationsgerät Trekker-Breeze als Sachleistung der Klägerin zur Verfügung zu stellen.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Bewilligung eines GPS-Systems als Hilfsmittel.
Die Klägerin ist 1971 geboren, bei der Beklagten gegen Krankheit versichert und leidet an einer beidseitigen Optikusatrophie im Rahmen eines kongenitalen Glaukoms mit Erblindung bereits im Kindesalter. Sie erhält seit dem 01. Mai 2015 eine Rente wegen Erwerbsminderung auf Zeit befristet bis zum 01. August 2017 und war bis dahin erwerbstätig.
Mit ärztlicher Verordnung vom 07. Dezember 2011 beantragte sie bei der Beklagten ein mobiles Navigationsgerät für Blinde und fügte ein Angebot über das Modell Trekker-Breeze bei, welches einen Einzelpreis von netto 880,00 Euro nebst Frachtkosten von 12,50 Euro beinhaltete, damit Gesamtkosten i.H.v. 953,90 Euro.
Sie fügte einen Erfahrungsbericht bei (07. März 2012), wonach es sich um ein spezielles Navigationsgerät für Blinde handele, welches einen Lautsprecher sowie eine Tastatur und Sprachausgabe aufweise, welche die selbständige Eingabe von Routen und Funktionen des Gerätes ermögliche. Das Gerät teile mit, auf welcher Straße man sich befinde, wo die nächste Kreuzung sei, welcher Art sie sei (T-Kreuzung oder X-Kreuzung), gebe die Straßennamen an. Man könne sowohl eine Adresse eingeben und sich leiten lassen, als auch eine bereits gespeicherte Route auswählen; über den sog. Erkundungsmodus könne man sich Anlaufstellen des täglichen Lebens angeben lassen, wie z.B. Einkaufsmarkt, Bank, Geldautomaten etc. Anschrift und Entfernung würden dann angesagt. Möglich sei es auch, eigene Orientierungspunkte einzuspeichern, die das Geräte noch nicht beinhalte (z.B. bestimmte Bushaltestellen). Herkömmliche Fußgängernavigationsgeräte seien im Vergleich unzulänglich, die Spracherkennung versage selbst bei mäßig frequentierten Straßen.
Die Beklagte bat um Übersendung weiterer Informationen der Klägerin zur Versorgung und Benutzung ihres Langstocks. Nach einer MDK-Stellungnahme lehnte die Beklagte die Bewilligung ab, da die vom behandelnden Arzt angeforderten zusätzlichen Informationen nicht eingegangen seien, eine Prüfung der Kostenübernahme sei abschließend nicht möglich (Bescheid vom 15.06.2012).
Die Klägerin erhob Widerspruch (17. Juli 2012). Die behandelnde Augenärztin habe kein Schreiben der Beklagten erhalten, die Beklagte bat erneut die behandelnde Fachärztin für Augenheilkunde um Mitteilung. Diese teilte mit, dass die Orientierung mit dem Langstock für die Mobilität in der Großstadt nicht ausreiche, da die Klägerin, wenn sie sich einmal verirrt habe, praktisch verloren sei. Sie sei mental und physisch zur Nutzung des Gerätes in der Lage, wie die Probephase bewiesen habe (Stellungnahme vom 02. September 2012)
Ausweislich des ergänzenden sozialmedizinischen Gutachtens vom 28. September 2012 stellt das von der Klägerin begehrte Gerät keinen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens dar, da es speziell für Blinde und Sehbehinderte angeboten wird. Fraglich sei aber, so der MDK, ob eine blinde Versicherte, die wie die Klägerin seit frühester Kindheit in der Nutzung des Langstocks geübt sei, tatsächlich zur Sicherstellung ihrer Mobilität im Rahmen des höchstrichterlich definierten Grundbedürfnisses eines GPS-Gerätes bedürfe und dieses nicht vielmehr der Gewährleistung ihrer Teilhabefähigkeit diene. Der vorgelegte Erprobungsbericht sei insoweit nicht aussagekräftig, die Versicherte bleibe selbst zu befragen.
Die Beklagte bat um Mitteilung, zur Erreichung welcher Ziele im Rahmen der Alltagsgestaltung die Klägerin das GPS-System zusätzlich zum Langstock benötige.
Die Klägerin verweis auf ihren Bericht zur Erprobung des Gerätes, das Gerät ermögliche es ihr, unbekannte Umgebungen besser und selbständiger zu erkunden und sich zu erschließen und sich in bekannteren Örtlichkeiten bess...