Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Heizkostennachforderung. Berlin. Ablehnung der Übernahme unter Verweis auf die Absenkung der Leistungen auf den Richtwert der AV-Wohnen. Unzulässigkeit der Pauschalierung von Heizkosten. Erforderlichkeit eines auf die Heiz- und Warmwasserkosten bezogenen Kostensenkungsverfahrens. Angemessenheit der Unterkunftskosten. Wohnungsaufwendungenverordnung Berlin. kein schlüssiges Konzept
Orientierungssatz
1. Auch eine Senkung der Heizkosten darf nur unter den Voraussetzungen des § 22 Abs 1 S 3 SGB 2 erfolgen, also im Rahmen eines Kostensenkungsverfahrens mit einer Übergangsfrist von bis zu sechs Monaten (vgl BSG vom 19.9.2008 - B 14 AS 54/07 R = FEVS 60, 490).
2. Bei einer Kostensenkung auf eine Bruttowarmmiete kann der Gesamt-Richtwert nicht als Grenzwert für Nachforderungen aus Zeiträumen nach der Kostensenkung verstanden werden. Dies liefe auf eine unzulässige Pauschalierung von Neben- oder Heizkosten hinaus.
3. Eine reine Heizkostennachforderung, der kein auf das Heizen und den Warmwasserverbrauch bezogenes Kostensenkungsverfahren vorausgegangen ist, ist in voller Höhe zu übernehmen (vgl BSG vom 6.4.2011 - B 4 AS 12/10 R = SozR 4-4200 § 22 Nr 45). Einschränkungen können sich allenfalls aus einem unwirtschaftlichen Heizverhalten ergeben.
4. Die in der Wohnungsaufwendungenverordnung des Landes Berlin (WAV - juris: WAufwV BE) zugrunde gelegten Werte für Wohnungen bis 50 qm sind weder hinsichtlich der Kaltmiete noch der kalten Betriebskosten schlüssig.
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist die Übernahme einer Heizkostennachforderung trotz Absenkung der Bedarfe für Unterkunft und Heizung auf den Richtwert der bis 30.4.2012 geltenden AV-Wohnen (=378 €) und die Fortführung der Mietkappung auf die seit 1.5.2012 geltenden Werte der WAV (= 405 €).
In Umsetzung einer Kostensenkungsaufforderung bezog der Kläger von Februar 2011 bis April 2012 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 378 €. Für die seit September 2005 innegehaltene 2-Raum-Wohnung mit 53,83 qm zahlte er von Februar bis Juli 2011 insgesamt 405,85 € Miete (280,22 € Kaltmiete, 94,63 € kalte Betriebskosten und 30 € Heizung und Warmwasser).
Im August 2011 wurde die Miete infolge einer Anpassung der Vorauszahlungen für Heizung und Warmwasser an die Nachforderung aus 2010 auf 419,85 € (45 € statt bisher 30 € Vorauszahlung) erhöht.
Am 20. Juli 2012 erhielt der Kläger im laufenden Alg II-Bezug eine Betriebs- und Heiz-kostenabrechnung für das Jahr 2011. Danach war eine Nachzahlung von 78,29 € innerhalb der nächsten 4 Wochen fällig, die sich aus einer Nachforderung für Heizung und Warmwasser von 131,44 €, von der ein Guthaben für die Betriebskosten in Höhe von 53,15 € abgezogen wurde, zusammensetzt.
Den am 23.7.2012 gestellten Antrag auf Übernahme der Nachforderung lehnte der Beklagte für die Monate Februar bis Dezember 2011 mit der Begründung ab, infolge der Kostensenkung auf 378 € könne dem Antrag nur für den Monat Januar 2011, d. h. nur in Höhe von 1/12 der Nach-forderung entsprochen werden (Bescheid vom 2.10.2012, bestätigt mit Widerspruchsbescheid vom 5.11.2012).
Hiergegen richtet sich die am 21. November 2012 beim Sozialgericht Berlin erhobene Klage, zu der eine weitere Klage vom 4.12.2012 (S 157 AS 31251/12) verbunden wurde, mit der der Kläger die Werte der WAV als unschlüssig rügt. Lege man der Bedarfsberechnung schlüssige Werte für die Kaltmiete und die Betriebskosten zugrunde, müsse die tatsächliche Miete als abstrakt angemessen übernommen werden.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,
1) den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 2.10.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5.11.2012 zu verurteilen, die Heizkostennachforderung 2011 in Höhe von 78,29 € zu übernehmen;2) den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 2.10.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5.11.2012 zu verurteilen, für die Zeit vom 1.5. bis 31.7.2012 die tatsächlichen Unterkunfts- und Heizkosten in Höhe von 419,85 € zu übernehmen;3) den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 2.10.2012 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 5.11.2012 zu verurteilen, für die Zeit vom 1.8.2012 bis 31.1.2013 die tatsächlichen Unterkunfts- und Heizkosten in Höhe von 419,85 € zu übernehmen.
Die Beklagtenvertreterin beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Ergänzend wird zum übrigen Sach- und Streitstand auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und die beigezogenen Leistungsakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist mit allen Anträgen begründet.
Soweit sich der Kläger gegen die Mietkappung unter Anwendung der WAV richtet, schließt das Normenkontrollverfahren nach § 55a SGG individuellen Rechtsschutz nicht aus; die Rechtmäßigkeit von § 4 WAV ist im Rahmen eines solchen Verfahrens inzidenter zu prüfen und zu beachten (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl., § 55a Rn. 3; Breitkreuz, aaO, § 22b...