Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Eingliederungsleistungen. Förderung der beruflichen Weiterbildung. Verbindlichkeit eines Bildungsgutscheines für die Übernahme der Kosten für eine abgeschlossene Weiterbildung zur Ergotherapeutin für die Dauer der ersten 24 Monate
Orientierungssatz
Ein Bildungsgutschein gem § 77 SGB 3, in dem Zuschnitt, Struktur und Inhalt der auf ein bestimmtes Bildungsziel gerichteten Maßnahme bis hin zur Finanzierung des dritten Ausbildungsjahres konkretisiert sind, ist eine durch Verwaltungsakt erteilte Leistungsbewilligung dem Grunde nach (vgl BSG vom 18.5.2010 - B 7 AL 22/09 R = SozR 4-4300 § 77 Nr 5, LSG Chemnitz vom 31.1.2005 - L 2 B 192/04 AL-ER und LSG Stuttgart vom 2.9.2005 - L 8 AL 4970/04). Die Arbeitsagentur ist nach Erteilung eines solchen Bildungsgutscheines nicht mehr berechtigt, die Umschulungsmaßnahme aus anderen Gründen abzulehnen.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 12. Mai 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 2006 verurteilt, der Klägerin die beantragten Kosten für die Weiterbildungsmaßnahme zur Ergotherapeutin zu erstatten.
Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Übernahme der Kosten ihrer abgeschlossenen beruflichen Weiterbildung zur Ergotherapeutin in der Zeit 01.04.2006-31.03.2009 für die Dauer der ersten 24 Monate.
Die 1970 geborene Klägerin nahm nach Ablegung des Abiturs zunächst das Studium der Erziehungswissenschaften auf, das sie nicht beendete. Nach Ausübung verschiedener Tätigkeiten absolvierte sie einen CAD-Grundausbildungslehrgang mit Zertifikat und anschließend von Dezember 1993 bis September 1995 eine Umschulung zur Tischlerin mit Abschlussprüfung bei der IHK Berlin. Von 1996 bis ca. Februar 2003 war sie als Tischlerin versicherungspflichtig beschäftigt, danach arbeitsuchend bei Bezug von Arbeitslosengeld bzw. -hilfe. In dieser Zeit war sie von Oktober 2003 bis Oktober 2004 als Mitarbeiterin auf “FKZBasis„ bei … e. V. in B tätig (Redaktionsarbeit im Rahmen einer Stadtteilzeitung, Organisation des K-C). Ab Januar 2005 bezog die Klägerin Leistungen der Grundsicherung nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).
Im Rahmen einer arbeitsamtsärztlichen Begutachtung Anfang 2005 (Gutachten des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. J) wurden bei ihr Einschränkungen der körperlichen Leistungsfähigkeit festgestellt: Die Klägerin wurde als vollschichtig leistungsfähig nur noch für ständig leichte bis zeitweise mittelschwere Arbeiten mit gewissen Einschränkungen befunden; die Ausübung ihres bisherigen Berufes als Tischlerin wurde für nicht mehr zumutbar erachtet; Schulungsfähigkeit wurde bejaht. Daraufhin beantragte die Klägerin mit Formantrag vom 29. März 2005 bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit die Gewährung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben. Die Beklagte stellte ihre Zuständigkeit sowie die Erforderlichkeit von Teilhabeleistungen mit Schreiben vom 13. April 2005 fest. Unter dem 16. März 2006 wurde auf Drängen der Klägerin von der Beklagten ein bis zum 16. Juni 2006 gültiger Bildungsgutschein (Nr. …) nach § 16 Abs. 1 SGB II i. V. m. § 77 Abs. 3 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) ausgestellt für die Übernahme der Lehrgangskosten einer bis zu 24 Monate - einschließlich eines notwendigen Betriebspraktikums - dauernden Weiterbildung mit dem Bildungsziel “Ergotherapeutin/Umschulung zur Ergotherapeutin„ in Vollzeitunterricht an einer außerbetrieblichen Weiterbildungsstätte im Tagespendelbereich. Weiter heißt es in dem begleitenden Schreiben, mit dem Bildungsgutschein würden die Kosten für die Teilnahme an einer beruflichen Weiterbildung übernommen, solange Hilfebedürftigkeit nach § 9 SGB II vorliege und die Weiterbildung für die Weiterbildungsförderung nach § 85 SGB III zugelassen sei. Die Klägerin solle sich vor Beginn der Teilnahme beim Bildungsträger vergewissern, ob die Weiterbildung zugelassen sei. Auch sei der ausgehändigte Antrag oder Fragebogen rechtzeitig vor der Teilnahme an der Weiterbildung einzureichen. Sofern die Inhalte der von ihr ausgewählten Weiterbildung nicht mit dem Gutschein übereinstimmten, sei die Bewilligung von Lehrgangskosten wie auch die Gewährung von Leistungen zum Lebensunterhalt in Frage gestellt. Dem Bildungsgutschein war auch eine Anlage beigefügt, in dem die Beklagte auf die Besonderheiten bei der Förderung von Maßnahmen mit einer Dauer von mehr als 24 Monaten belehrte (§ 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III). Darüber wurde auf dieser Anlage eine schriftliche Bestätigung des Teilnehmers und des Trägers gefordert, die die Klägerin mit Unterschrift vom 04. April 2006 und der Träger mit Stempel und Unterschrift vom 30. März 2006 abgaben. Der Träger - die Akademie der Gesundheit … e. V. Campus B (nachfolgend: Gesundheits-Akademie) - bestätigte darin, dass die Finanzierung (Ausbildungsvergütung/Weiterbildungskosten) des dritten Drittels der Maßnahme nach § 85 Abs. 2 Satz 3 SGB III gesichert sei...