Entscheidungsstichwort (Thema)
Minderung des Arbeitslosengeld II. Sanktion. Verhältnismäßigkeit. verfassungsrechtliche Anforderungen an die schriftliche Rechtsfolgenbelehrung
Orientierungssatz
1. Eine Leistungsminderung nach § 31a Abs 1 S 1 SGB 2 kann nach der Entscheidung des BVerfG (vgl BVerfG vom 5.11.2019 - 1 BvL 7/16 = BVerfGE 152, 68 = NJW 2019, 3703) die Anforderungen aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG nur wahren, wenn sie nicht darauf ausgerichtet ist, repressiv Fehlverhalten zu ahnden, sondern darauf, dass Mitwirkungspflichten erfüllt werden, die gerade dazu dienen, die existenzielle Bedürftigkeit zu vermeiden oder zu überwinden. Es gelten danach strenge Anforderungen der Verhältnismäßigkeit, weil die Minderung existenzsichernder Leistungen zur Durchsetzung von Mitwirkungspflichten in einem unübersehbaren Spannungsverhältnis zur Existenzsicherungspflicht des Staates aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG steht. Leistungsminderungen sind daher nur verhältnismäßig, wenn es den Betroffenen tatsächlich möglich ist, die Leistungsminderung durch eigenes zumutbares Verhalten abzuwenden und die existenzsichernde Leistung auch nach einer Minderung wiederzuerlangen. Zumutbar ist eine Leistungsminderung in Höhe von 30 % nur, wenn in Fällen außergewöhnlicher Härten von der Sanktion abgesehen werden kann.
2. Eine Rechtsfolgenbelehrung, die auf die Möglichkeit der Abwendung der Leistungsminderung durch zumutbares Verhalten, der Wiedererlangung existenzsichernder Leistungen und des Absehens von der Minderung im Fall außergewöhnlicher Härten nicht hingewiesen hat, ist unvollständig als auch unrichtig, weil sie diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen nach Maßgabe des BVerfG nicht entsprochen hat.
Tenor
Der Bescheid vom 21.02.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7.3.21 wird aufgehoben.
Der Beklagte erstattet der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Sanktionsbescheides nach § 31 Abs. 1 SGB II.
Die Klägerin bezieht Alg II. Sie geht einer selbständigen Tätigkeit nach.
Mit Schreiben vom 20.12.2016 wurde die Klägerin einer Maßnahme „Basis“ zugewiesen. Das Zuweisungsschreiben enthält auf Seite 3 eine Rechtsfolgenbelehrung in der es u.a. heißt:
„Die §§ 31 bis 31b SGB II sehen bei Nichtantritt, Abbruch oder Anlass für den Abbruch einer zumutbare Maßnahme zur Eingliederung in Arbeit Leistungsminderungen vor. Das Arbeitslosengeld II kann danach - auch mehrfach nacheinander - gemindert werden oder vollständig entfallen.“
Im Übrigen wird auf das Schreiben Bezug genommen.
Die Klägerin unterzeichnete die Datenschutzerklärung und Hausordnung nicht. Deswegen wurde eine Sanktion verfügt, die den Zeitraum März bis Mai 2017 erfasste (Bescheid vom 21.2.2017).
Den gegen die Sanktion erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 7.3.2017 als unbegründet zurück; die Klägerin habe keinen wichtigen Grund für die Ablehnung dargelegt.
Hiergegen richtet sich die am 7. März 2017 beim Sozialgericht Berlin erhobene Klage.
Die Klägerin macht geltend, die Maßnahme verfolge keinen vernünftigen Zweck und sei nicht zumutbar. Es habe kein Eingliederungskonzept vorgelegen und der Beklagte hätte kein Ermessen ausgeübt bei der Zuweisung.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid vom 21.02.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 7.3.2017 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beteiligten wurden hinsichtlich der beabsichtigten Entscheidung angehört.
Entscheidungsgründe
Die Entscheidung konnte nach Anhörung der Beteiligten gem. § 105 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid ergehen, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher sowie rechtlicher Hinsicht aufweist und der Sachverhalt geklärt ist.
Die als Anfechtungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Klage hat auch in der Sache Erfolg, weil sich der streitgegenständliche Sanktionsbescheid vom 21.02.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2017 als rechtswidrig erweist. Für die Feststellung einer Pflichtverletzung i.S.v. § 31 SGB II fehlt es an einer ordnungsgemäßen Rechtsfolgenbelehrung i.S.v. 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II.
Gem. § 31a Abs. 1 Satz 1 SGB II mindert sich bei einer Pflichtverletzung nach § 31 SGB II das Arbeitslosengeld II in einer ersten Stufe um 30 Prozent des für die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs. Nach § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB II setzt eine Pflichtverletzung nach § 31 SGB II stets eine vorherige schriftliche Belehrung über die Rechtsfolgen oder deren Kenntnis durch den erwerbsfähigen Leistungsberechtigten voraus.
Die Rechtsfolgenbelehrung erfüllt eine Steuerungs- und insbesondere eine Warnfunktion. Sie muss den Einzelfall betreffend konkret, verständlich, richtig und vollständig sein. Es kommt auf den objektiven Erklärungswert der Belehrung an. Dem Leistungsberechtigten soll in verständlicher Form erläutert werden, welche unmittelbaren und ko...