Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Orthesenstrümpfe sind keine allgemeinen Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Hilfsmittel mit Therapiefunktion. Eigenanteil des Versicherten
Leitsatz (amtlich)
1. Orthesenstrümpfe sind keine "allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglich Lebens", sondern Hilfsmittel mit Doppelfunktion.
2. Die Therapiefunktion eines Orthesenstrumpfes macht mindestens 90% der Gesamtfunktion aus.
3. Dementsprechend liegt der von den Versicherten zu tragende angemessene Eigenanteil bei höchstens 10% der Kosten.
Orientierungssatz
Az beim LSG: L 1 KR 217/12
Tenor
I. Der Bescheid vom 23.09.2010 und der Widerspruchsbescheid vom 18.11.2010 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für die Orthesenstrümpfe der Klägerin abzüglich eines angemessenen Eigenanteils zu übernehmen.
III. Die Beklagte trägt die notwendig entstandenen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
IV. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist eine Erstattung von Kosten für Orthesenstrümpfe.
Für die am 00.00.1999 geborene Klägerin verordnete der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. med. T. am 06.09.2010 die Anschlussversorgung mit 12-mal Orthesenstrümpfen „SmartKnit“.
Der Kostenvoranschlag vom 15.09.2010 der Orthopädie- und Reha-Technik D. GmbH wies bei einem Einzelpreis von 32,23 € eine Gesamtsumme von 386,76 € aus.
Mit streitigem Bescheid vom 23.09.2010 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme mit der Begründung ab, Kosten für Hilfsmittel, die als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen seien, könnten von den Krankenkassen nicht übernommen werden.
Dagegen legten die Eltern der Klägerin als gesetzliche Vertreter am 27.09.2010 Widerspruch ein. Die Haut an Fuß und Unterschenkel der Klägerin sei zu 80 % von der permanent zu tragenden Orthese bedeckt. Der austretende Schweiß im abgedeckten Bereich könne nicht verdunsten. Die beantragten Orthesenstrümpfe seien so gearbeitet, dass sie die auftretende Feuchtigkeit an die nicht bedeckten Flächen transportieren. Dort könne die Feuchtigkeit dann verdunsten. Zusätzlich würden diese Strümpfe im Vergleich zu gewöhnlichen Kinderstrümpfen eine deutlich höhere Kompressionswirkung aufweisen.
In der Produktinformation vom 28.10.2010 wird für den SmartKnit-Orthesenstrumpf darauf hingewiesen, dass der Strumpf (ohne Ferse gearbeitet) unter Beinprothesen getragen werde und einen angenehmen Tragekomfort biete. Druckstellen, Einschnürungen sowie Zirkulationsstörungen würden vermieden. Das besondere Material sei in der Lage, Transpirationsfeuchtigkeit aufzunehmen und von der Hautoberfläche nach außen zu transportieren.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.11.2010 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe nur für Hilfsmittel, nicht jedoch für Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens. Ein allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens werde angenommen, wenn der Gegenstand für die Mehrzahl der Menschen unabhängig von Krankheit oder Behinderung unentbehrlich sei. Dies gelte auch bei einer zusätzlichen therapeutischen Wirkung des Gegenstandes. Funktionsstrümpfe aus einem Material, das in der Lage ist, Transpirationsfeuchtigkeit aufzunehmen und von der Hautoberfläche nach außen zu transportieren, könnten von jedermann im Handel erworben werden. Solche Strümpfe würden z. B. auch bei sportlichen Betätigungen getragen und insofern nicht ausschließlich von Menschen mit Behinderungen/Krankheiten genutzt.
Dagegen haben die Eltern der Klägerin am 30.11.2010 Klage erhoben. Die Orthesenstrümpfe seien als Hilfsmittel einzustufen.
Herr Dr. med. T., Oberarzt am Universitäts-Klinikum C. an der Technischen Universität D., Klinik und Poliklinik für Orthopädie, verweist in seinem Arztbrief vom 03.05.2010 an die Fachärztin für Kinderheilkunde, Dr. med. H. E., darauf, dass seit der Versorgung mit den SmartKnit-Orthesenstrümpfen bei der Klägerin keine Druckstellen oder schweißbedingte Hautläsionen aufgetreten sind.
Mit Schreiben vom 25.05.2011 an die Beklagte verweist der Kammervorsitzende darauf, dass gegebenenfalls ein Hilfsmittel mit Doppelfunktion vorliegt.
Mit Schriftsatz vom 24.06.2011 bat die Beklagte um Ausführungen dazu, inwieweit die beantragten Strümpfe einen Behinderungsausgleich ermöglichten oder den Erfolg einer Krankenbehandlung sicherten. Die Beklagte teilte auch nicht die Auffassung, dass Kniestrümpfe im Sommer bei 11-jährigen Kindern keine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens sein sollen. Unter der Prothese könnten auch herkömmliche Kniestrümpfe, gegebenenfalls aus dem gleichen Material wie die beantragten Strümpfe, getragen und im Handel erworben werden. Die Tatsache, dass derartige Strümpfe von jedermann im Handel käuflich erworben werden können, stelle ein wesentliches Merkmal dafür dar, dass es sich bei den Strümpfen um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele.
Demgegenüber verwies der Vater der Klägerin in seinem Schreiben vom 12.07.2011 dara...