Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss von Leistungen der Sozialhilfe für den verlobten Hilfebedürftigen eines deutschen Staatsbürgers
Orientierungssatz
1. Nach § 23 Abs. 1 S. 1 SGB 12 ist Ausländern, die sich im Inland tatsächlich aufhalten, Hilfe zum Lebensunterhalt zu leisten. Nach Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB 12 sind sie von Leistungen ausgeschlossen, wenn sich ihr Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt.
2. Aufgrund lediglich eines Verlöbnisses des Ausländers mit einem deutschen Staatsbürger besteht kein Aufenthaltsrecht gemäß § 2 Abs. 1 FreizügG. Dieser ist nicht Familienangehöriger.
3. Der in § 23 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 SGB 12 normierte Leistungsausschluss ist europarechtskonform.
4. Er verstößt auch nicht gegen Art. 1 Abs. 1 und Art. 20 Abs. 1 GG und ist damit verfassungsgemäß.
5. Ein Leistungsanspruch unter Härtefallgesichtspunkten gemäß § 23 Abs. 3 S. 6 SGB 12 aufgrund der Verlobteneigenschaft ist ausgeschlossen, weil Deutscher und Verlobter jederzeit heiraten können.
Tenor
Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.
Gründe
I. Die Antragsteller begehrt die Weitergewährung von Leistungen nach dem 3. Kapitel des SGB XII.
Mit Bescheid vom 08.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.03.2017 sind die Leistungen abgelehnt worden. Zwischenzeitlich war die Antragsgegnerin im Verfahren S 19 AS 1550/16 ER des hiesigen Gerichts zu vorläufigen Leistungen bis Ende Februar 2017 verpflichtet worden.
Die Antragstellerin beantragt,
nebst Gewährung von Prozesskostenhilfe, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin ab März 2017 vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB XII zu gewähren und die Antragstellerin in der gesetzlichen Krankenversicherung zu versichern.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Sie verweist insbesondere auf die zum 29.12.2016 mit § 23 Abs. 3 SGB XII geänderte Rechtslage.
Im Übrigen wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die beigezogene Akte des Verwaltungsverfahrens.
II. Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist unbegründet.
Gemäß § 86 b Abs. 2 S. 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Nach Satz 2 der Vorschrift sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig erscheint. Die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes setzt in diesem Zusammenhang einen Anordnungsanspruch, also einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die Leistung, zu der der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet werden soll, sowie einen Anordnungsgrund, nämlich einen Sachverhalt, der die Eilbedürftigkeit der Anordnung begründet, voraus.
Dabei stehen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander, es besteht vielmehr eine Wechselbeziehung derart, als die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (dem Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bilden nämlich aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG - Kommentar, 8. Auflage, § 86 b Rdnrn. 27 und 29 m. w. N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf einstweilige Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag auf Erlass der einstweiligen Anordnung stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens, wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist, ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange des Antragstellers umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. zuletzt Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05).
Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86 b Abs. 2 S. 4 SGG glaubhaft zu machen....