Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung und -berechnung. selbstständige Tätigkeit. Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben. nicht zweckgebundene Corona-Soforthilfe aus Landesmitteln. NRW Überbrückungshilfe Plus. fiktiver Unternehmerlohn. Zufluss. Berücksichtigung als Betriebseinnahme im jeweiligen Bewilligungszeitraum

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine nicht zweckgebundene Corona-Soforthilfe aus Landesmitteln, die nicht nur ausschließlich zur Deckung von Betriebsausgaben eines Unternehmens eingesetzt werden kann, stellt anrechenbares Einkommen im Sinne des § 11 Abs 1 S 1 SGB II dar, wenn ein Nachweis für die Verwendung nicht zu erbringen ist. Anders als bei einer zweckgebundenen Wirtschaftshilfe ist sie nicht lediglich von den tatsächlich anfallenden Betriebsausgaben in dem maßgebenden Zeitraum in Abzug zu bringen.

2. Wird die nicht zweckgebundene Corona-Soforthilfe als "fiktiver Unternehmerlohn" gezahlt, findet die Vorschrift des § 11 Abs 3 SGB II zur Berücksichtigung einmaliger Einnahmen keine Anwendung. Der fiktive Unternehmerlohn ist als Betriebseinnahme gemäß § 3 Abs 1 S 1, 2 ALG II-VO (juris: AlgIIV 2008) in demjenigen Bewilligungszeitraum bei der Einkommensberechnung nach § 3 Abs 4 ALG II-VO zu berücksichtigen, in dem dieser zugeflossen ist. Eine zusätzlich erfolgende Berücksichtigung in einem sich anschließenden Bewilligungszeitraum findet im Gesetz keine Stütze.

3. § 1 Abs 1 Nr 14 ALG II-VO und § 3 Abs 1a ALG II-VO stehen einer Berücksichtigung einer nicht zweckgebundenen Corona-Soforthilfe aus Landesmitteln als Betriebseinnahme nicht entgegen.

 

Tenor

Der Beklagte wird unter Abänderung des Bescheids vom 15.07.2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.11.2021 in der Fassung der endgültigen Festsetzung vom 09.03.2022 verurteilt, den Klägern höhere Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.06.2021 bis 31.07.2021 - ohne Berücksichtigung von Einkommen in Form von Überbrückungsleistungen in Höhe von monatlich 666,67 Euro - zu gewähren.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Berücksichtigung einer Corona-Überbrückungshilfe bei den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 01.06.2021 bis 31.07.2021.

Die Kläger standen in der Vergangenheit im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Die Klägerin zu 2.) ist selbstständig und betreibt seit dem 01.09.2001 einen Afro-Shop in C.

Die Kläger beantragten am 17.05.2021 die Weitergewährung von Leistungen nach dem SGB II. Dabei machte die Klägerin zu 2.), in der dem Antrag beigefügten Anlage zur vorläufigen Erklärung zum Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit, Angaben zu dem von ihr prognostizierten Betriebsgewinn. Sie prognostizierte Betriebseinnahmen in Höhe von 7700,00 Euro und Betriebsausgaben in Höhe von 6782,00 Euro. Sie reichte zudem einen Bescheid der Bezirksregierung E vom 19.01.2021 über die "Gewährung einer Billigkeitsleistung des Bundes und des Landes Nordrhein-Westfalen in Form einer Corona-Überbrückungshilfe für kleine und mittelständische Unternehmen, Soloselbstständige und Angehörige der Freien Berufe, die infolge der Corona-Krise erhebliche Umsatzausfälle erleiden" ein. Darin war geregelt, dass sie im Rahmen des Programms "Überbrückungshilfe II NRW" für den Zeitraum September 2020 bis Dezember 2020 eine Überbrückungshilfe als Zuschuss in Höhe von insgesamt 6289,30 Euro erhielt. Dieser Zuschuss wurde ihr im Januar 2021 ausgezahlt und diente mit einer ausdrücklich bestimmten Laufzeit von vier Monaten dazu, Umsatzrückgänge während der Corona-Krise abzumildern. Die Richtlinien des Landes zur fortgesetzten Gewährung von Überbrückungshilfe für kleine und mittelständische Unternehmen ("Überbrückungshilfe II NRW") wurden für verbindlich erklärt und Bestandteil des Bescheids. Die Überbrückungshilfe setzte sich aus einem Betrag in Höhe von 2289,30 Euro (Bundesmittel) und einem Betrag in Höhe von 4000,00 Euro (zusätzliche Landesmittel) zusammen. Der auf die Bundesmittel entfallende Anteil der Überbrückungshilfe war nach Ziffer 3, 4 des Bescheids zweckgebunden und diente ausschließlich dazu, für die Monate September 2020 bis Dezember 2020 eine weitergehende Liquiditätshilfe, in Form der aufden jeweiligen Vergleichsmonat bezogenen anteiligen Erstattung von betrieblichen Fixkosten, zu gewähren. Aus den Richtlinien ergab sich dazu ausweislich Ziffer 4 Abs. 1, dass der Antragsteller eine Überbrückungshilfe für im Förderungszeitraum anfallende, vertraglich begründete oder behördlich festgesetzte und nicht einseitig veränderbare, betrieblichen Fixkosten beantragen kann. Ziffer 4 Abs. 5 bestimmte, dass der Antragsteller die Überbrückungshilfe nur zur Deckung der förderungsfähigen Kosten verwenden durfte. Bezüglich zusätzlicher Landesmittel regelten Ziffer 12 des Bescheids und Ziffer 4 Abs. 3 der Richtlinien, dass für diese zusätzlich bewilligte Wirtschaf...

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