Entscheidungsstichwort (Thema)

Entscheidungskompetenz des Gerichts bei einem von einer unzuständigen Behörde erlassenen Widerspruchsbescheid

 

Orientierungssatz

1. Ein von einer sachlich unzuständigen Behörde erlassener Widerspruchsbescheid ist rechtswidrig und damit aufzuheben.

2. Wer die nächsthöhere Behörde i. S. des § 85 Abs. 2 Nr. 1 SGG ist, ergibt sich daraus, wer nach dem jeweiligen Landesorganisationsrecht der Ausgangsbehörde unmittelbar übergeordnet ist.

3. Stammt der Widerspruchsbescheid von einer unzuständigen Behörde, so macht ihn das nur im Ausnahmefall, nämlich bei einem groben Zuständigkeitsmangel, nichtig. Ein solch offensichtlicher Fehler liegt dann nicht vor, wenn ein im Schwerbehindertenrecht ergangener Widerspruchsbescheid anstelle von der sachlich zuständigen Bezirksregierung von der Regierung eines anderen Landesbezirks erlassen worden ist.

 

Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 30.01.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2008 verurteilt, bei der Klägerin einen GdB von 50 festzustellen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten, ob die Klägerin als Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 anzuerkennen ist.

Bei der am 00.00.1950 geborenen Klägerin wurde mit zuletzt bindend gewordenen Bescheid vom 11.07.2003 ein GdB von 40 festgestellt. Zugrunde lagen folgende Funktionsstörungen.

1. Sehminderung rechts GdB 30 2. Funktionseinschränkung der Wirbelsäule mit Nervenwurzelreizungen, Schulter-Arm-Syndrom GdB 20.

Am 31.10.2007 beantragte die Klägerin, bei ihr einen höheren GdB festzustellen. Sie leide unter ständigen Schmerzen in beiden Händen. Diese äußerten sich als Spannungsschmerzen, Kribbeln, Taubheitsgefühl und Bewegungseinschränkungen, die auch nachts anhielten, wodurch es zu Schlafstörungen komme. Weiterhin leide sie unter Kopfschmerzen sowie Schmerzen im Schulter- und Nackenbereich. Der Beklagte holte Befundberichte bei der behandelnden Fachärztin für Neurologie, Frau Dr. T, sowie beim Internisten Dr. T2 und beim Orthopäden Dr. L ein. Darüber hinaus zog er den Rehabilitationsentlassungsbericht der E Klinik vom 25.09.2007 bei. Nach versorgungsärztlicher Auswertung dieser Unterlagen lehnte es der Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 30.01.2008 ab, einen höheren Grad der Behinderung festzustellen. Es sei hier zu keiner wesentlichen Verschlechterung des Behinderungsgrades gekommen, obwohl eine operierte Hohlhandnerveneinengung beidseits, eine Funktionsstörung der Hände und ein Reizsyndrom hinzugekommen seien.

Die Klägerin legte hiergegen Widerspruch ein und wies darauf hin, dass sie sich aktuell noch in Behandlung der medizinischen Hochschule I, Abteilung Neurochirurgie, wegen ihrer schwerwiegenden Wirbelsäulenerkrankung befinde. Der Beklagte holte daraufhin einen weiteren Befundbericht von Dr. T2 ein und zog den Behandlungsbericht der Neurochirurgischen Abteilung der medizinischen Hochschule I sowie einen Behandlungsbericht des Klinikums N bei; dort war die Klägerin von Ende September bis Anfang Oktober 2008 wegen einer rheumatischen Erkrankung behandelt worden. Nach Auswertung sämtlicher medizinischer Unterlagen wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 19.12.2008 den Widerspruch zurück. Auch nach Auswertung sämtlicher medizinischer Befunde könne keine wesentliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin im Verhältnis zu dem Zustand festgestellt werden, der im Augenblick des letzten bindend gewordenen Bescheides im Juli 2003 vorgelegen habe.

Mit der hiergegen gerichteten Klage verfolgt die Klägerin ihr Ziel fort, als Schwerbehinderte anerkannt zu werden. Ihr sei am 12.03.2008 ein sogenannter Cages in Höhe des Halswirbelkörpers (HWK) 5/6 implantiert worden. Es komme dennoch weiterhin zu Schmerzausstrahlungen in beide Hände und zu Nackenschmerzen. Hinzu träten das Schulter-Arm-Syndrom sowie eine konzentrische Gelenkverschmälerung sämtlicher Fingermittel- und -endgelenke. Die Funktionsfähigkeit der Hände sei hierdurch erheblich eingeschränkt.

Die Klägerin beantragt,

den Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.01.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.12.2008 zu verurteilen, bei ihr einen Grad der Behinderung von 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung nimmt er im Wesentlichen Bezug auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid und Widerspruchsbescheid. Im Übrigen betont der Beklagte, dass bei einer Konstellation, bei der - wie vorliegend - eine Funktionsstörung mit 30 zu bewerten sei und zwei weitere mit jeweils 20, es in der Regel nicht gerechtfertigt sei, einen Gesamt-GdB von 50 zu bilden. Das zeige sich auch im vorliegenden Fall; insbesondere seien die aus den Gesundheitsstörungen der Klägerin resultierenden Funktionseinschränkungen nicht derart gravierend, dass sie vergleichbar wären mit einer einzelnen Funktionsstörung, die bereits allein für sich genommen und einen Gesamt-GdB von 50 bedinge, bei...

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