Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Beitragsveranlagung. Einrichtung der Behindertenhilfe. 5. Gefahrtarif der BGW. Veranlagung von Wohneinrichtungen als Hilfsunternehmen von Werkstätten für Behinderte Menschen. Rechtmäßigkeit. Grenzen der gerichtlichen Überprüfung. kein Verstoß gegen höherrangiges Recht
Leitsatz (amtlich)
1. Der Gefahrtarif eines Unfallversicherungsträgers kann nur inzident, dh im Rahmen einer Anfechtungsklage gegen den Veranlagungsbescheid, überprüft werden.
2. Prüfungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit des Gefahrtarifs ist, ob das autonom gesetzte Recht mit dem SGB VII, den tragenden Grundsätzen des Unfallversicherungsrechts und mit sonstigem höherrangigen Recht vereinbar ist. Das Gericht hat nicht zu prüfen, ob der Gefahrtarif die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Regelung ist.
3. Die Regelung des 5. Gefahrtarifs der Beklagten hinsichtlich der Veranlagung von Wohneinrichtungen als Hilfsunternehmen von Werkstätten für Behinderte Menschen widerspricht nicht höherrangigem Recht.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Veranlagung des klägerischen Unternehmens aufgrund des seit dem 01.01.2019 gültigen fünften Gefahrtarifs der Beklagten.
Der Kläger betreibt Einrichtungen der Behindertenhilfe in E und ist Mitglied im Q X.
Mit Veranlagungsbescheid vom 30.10.2018 wurde das Unternehmen des Klägers wie folgt zum ab dem 01.01.2019 gültigen fünften BGW-Gefahrtarif veranlagt:
- Hauptunternehmen: Werkstatt für Behinderte Menschen, Tarifstelle 17, Gefahrklasse 9,82
- Nebenunternehmen: Stationäre Wohnformen für Behinderte/kranke Menschen, Tarifstelle 11, Gefahrklasse 3,71
- Nebenunternehmen: Tageseinrichtungen für Kinder, Hortbetreuung, Tarifstelle 12, Gefahrklasse 2,50
Am 04.02.2019 besuchte ein Außendienstmitarbeiter der Beklagten das Unternehmen des Klägers und stellte anhand der Angaben von Mitarbeitern aus der Verwaltung fest, dass ca. 76 % der behinderten Menschen, die in den Wohneinrichtungen leben, gleichzeitig in den Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) des Klägers arbeiten bzw. in dieser Form Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben erhalten.
Die Beklagte veranlagte das Unternehmen des Klägers nach Anhörung vom 09.05.2019 mit Bescheid vom 11.06.2019 mit Wirkung ab dem 01.07.2019 wie folgt:
- Hauptunternehmen: Werkstatt für Behinderte Menschen, Tarifstelle 17, Gefahrklasse 9,82
- Hilfsunternehmen zur WfbM: Garten-und Landschaftsbau, Geschäfts- und Verwaltungsstellen, stationäre Wohnformen für Behinderte / kranke Menschen
- Nebenunternehmen: Tageseinrichtungen für Kinder, Hortbetreuung, Tarifstelle 12, Gefahrklasse 2,50
Zur Begründung wurde ausgeführt, die bestehende Veranlagung werde nach den tatsächlichen Verhältnissen und den Bestimmungen des 5. Gefahrtarifs geändert. Bei den betriebenen Wohnheimen handele es sich um Hilfsunternehmen, da mehr als 76 % der Bewohner in den Werkstätten der Lebenshilfe tätig seien.
Da der Kläger die fehlerhaft zu niedrige Veranlagung nicht zu vertreten habe, komme eine Veranlagungsänderung nach § 160 Abs. 3 des Siebten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VII) nur für die Zukunft ab dem 01.07.2019 in Betracht. Ermessensgründe für die Veranlagungsänderung ergäben sich daraus, dass es ein Gebot der Berufsgenossenschaften sei, Beitragsgerechtigkeit unter den Unternehmen herzustellen. Diesem Zweck diene auch die Veranlagung zu den Gefahrklassen. Gleichartige Unternehmen sollten auch die gleiche Veranlagung erhalten. Es lägen keine Erkenntnisse darüber vor, dass der Kläger z.B. im Hinblick auf die Veranlagung Vermögensdispositionen getroffen habe, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten. Es sei auch festzustellen, dass der Kläger von der früheren fehlerhaften Veranlagung profitiert habe. Dieser finanzielle Vorteil könne nicht mehr von der Solidargemeinschaft aufgefangen werden.
Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein. Zur Begründung wurde vorgetragen, eine Veränderung der Gefahrenklasse für den Bereich Wohnen sei nicht zulässig. Diese Änderung sei vorgesehen, wenn z.B. ein Verein sowohl Wohnen als auch die Arbeit in einer Werkstatt anbiete. Wäre dies ein Angebot zwei verschiedener Rechtsformen, würde die Änderung nicht durchgeführt werden. Dies sei eine wesentliche Schlechterstellung der Vereine, die sowohl Wohnen als auch Arbeit anbieten würden. Die Einstufung in die Gefahrenklasse sei demnach nicht von der tatsächlich vorhandenen Gefahrenbewertung abhängig, sondern von dem Angebot des Trägers. Diesbezüglich gäbe es ein noch nicht abgeschlossenes Verfahren vor dem Sozialgericht in H.
Mit Widerspruchsbescheid vom 05.09.2019 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, ein Abwarten des Rechtsstreits vor dem Sozialgericht in H sei nicht sachgerecht. Gegenstand des dortigen Klageverfahrens sei eine Veranlagung nach den Regelungen des Vierten Gefahrtarifs. Eine Übertragung der Entscheidungsgründe sei demzufolge nicht 100-prozentig gege...