Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Auszubildende. Ausbildungsförderung. abstrakte Förderungsfähigkeit. Anforderungen an einen besonderen Härtefall
Leitsatz (amtlich)
1. Ein besonderer Härtefall nach § 7 Abs 5 S 2 SGB 2 kann insbesondere dann vorliegen, wenn die Ausbildung zeitlich bereits erheblich vorangeschritten ist oder das Ausbildungsende unmittelbar bevorsteht und der Auszubildende aufgrund außergewöhnlicher, nicht selbstverschuldeter Umstände seine Ausbildung innerhalb der Regelförderungsdauer nicht zum Ende bringen konnte und daher nicht in zumutbarer Weise auf einen Nebenerwerb zur Sicherung seines Lebensunterhalts verwiesen werden kann.
2. Sinnvolle, kurz vor dem Abschluss stehende oder zumindest zeitlich erheblich vorangeschrittene, berufliche Perspektiven eröffnende Ausbildungen sollen in Situationen, in denen sich der Auszubildende zu 100 % physisch und psychisch auf die Examensvorbereitung und/oder Abschlussprüfung konzentrieren können soll, nicht zerschlagen werden, denn die strikte Anwendung des § 7 Abs 5 S 1 SGB 2 würde den Status der Hilfebedürftigkeit des Auszubildenden zementieren, was offensichtlich den in § 1 Abs 1 SGB 2 genannten Aufgaben und Zielen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entgegensteht, hilfebedürftige Personen in die Lage zu setzen, ihren Lebensunterhalt unabhängig von der Grundsicherung aus eigenen Mitteln und Kräften zu bestreiten. Gerade in der Examens- oder Abschlussprüfungsphase ist es nicht möglich, durch Nebentätigkeiten nebenbei den Unterhalt sicherzustellen. In dieser Phase ist der Auszubildende zeitlich umfassend in Anspruch genommen. Es widerspricht in einer solchen Konstellation auch dem Zweck des SGB 2, wenn der Hilfebedürftige, der nach einem mehrjährige Studium oder einer mehrjährigen Ausbildung kurz vor einem qualifizierten Ausbildungsabschluss steht, mit dem er bessere Chancen hat, sich selbst zu unterhalten, diese Ausbildung aufgeben soll, um sein Auskommen zu sichern.
3. Stehen der Aufnahme einer Nebenbeschäftigung des Auszubildenden zur Finanzierung des Lebensunterhaltes weder Krankheit, Behinderung, Kindererziehung noch sonstige objektive Hindernisse entgegen, so dass von einem atypischen Sachverhalt, der einen besonders schwerwiegenden Nachteil oder eine existentielle, nicht anders abwendbare Notlage herbeiführt, keine Rede sein kann und weist der Sachverhalt auch ansonsten keine Besonderheiten auf, können die Umstände, dass der Auszubildende seine Miete, seine Schulgeldaufwendungen sowie seinen Lebensunterhalt nicht mehr finanzieren kann, keine besondere Härte begründen. Derartige Umstände stellen vielmehr den Normalfall des mit § 7 Abs 5 S 1 SGB 2 bezweckten Ausschlusses von versteckter Ausbildungsförderung über das Instrumentarium des SGB 2 dar.
4. Neben einem zumutbaren Nebenerwerb unter Fortführung der Ausbildung kann eine weitere Alternative bzw. danebenstehende Variante eines unverheirateten, unter 25-jährigen Auszubildenden auch darin bestehen, in die elterliche Wohnung zurückzukehren, sofern dies tatsächlich möglich ist. Die Alternative des Wiedereinziehens in die elterliche Wohnung kann einem solchen Auszubildenden ermöglichen seine Ausbildung fortzusetzen. Vor dem Hintergrund der seit 1.4.2006 geltenden gesetzlichen Regelungen im SGB 2 idF vom 24.3.2006 muss davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber zur Verminderung oder Vermeidung von Hilfebedürftigkeit derartiges erwartet, bevor von ausnahmsweisen, nur für besondere Härtefälle vorgesehenen Leistungsansprüchen Gebrauch gemacht werden kann. Die mit diesen Vorschriften vom Gesetzgeber getroffene Wertentscheidung, nach der wirtschaftlich nicht auf eigenen Füßen stehende, unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres, ihre Kosten des Lebensunterhalts nicht auf Kosten der Allgemeinheit sicherstellen können sollen, kann als die Bedeutung und Reichweite des Begriffs der besonderen Härte flankierend, berücksichtigt werden. Denn insoweit vermittelt diese Wertentscheidung Stimmigkeit und Konsequenz, insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerade in Familien, die Nichtleistungsbezieher nach dem SGB 2 sind, gleichfalls bei in Ausbildung befindlichen Kindern versucht wird, die Ausbildung über das familiäre Netz der Verbundenheit und gegenseitigen Betreuung und Sorge sicherzustellen und durch Ersparnis von Kosten die materiellen Ausbildungsgrundlagen zu sichern.
Tenor
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über die darlehensweise Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II dem Grunde nach.
Die am ... 1984 geborene, ledige, kinderlose Antragstellerin war in der Zeit vom 1. Oktober 2003 bis 30. September 2005 an der TU ... immatrikuliert und studierte in diesem Zeitraum 4 Fachsemester im Hauptfach Germanistik/Literaturwissenschaften und in d...