Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsarzt. Wirtschaftlichkeitsprüfung. Verordnungsregress wegen Überschreitung des Richtgrößenvolumens. Gliederung nach Altersgruppen und Krankheitsarten. Verbindlichkeit der Vorgaben des § 84 Abs 6 S 2 SGB 5. veränderte Rechtslage ab 2004
Orientierungssatz
1. Die Gliederung der Richtgrößen nach dem Versichertenstatus der Patienten in Mitglieder und Familienversicherte einerseits sowie Rentner andererseits (hier in der sächsischen Arzneimittel- und Richtgrößenvereinbarung für das Kalenderjahr 2007) stellt keine altersgemäße Gliederung im Sinne des § 84 Abs 6 SGB 5 dar.
2. Die Vorgabe, die Richtgrößen nach altersgemäß gegliederten Patientengruppen zu gliedern, ist für die Vertragspartner der Arzneimittel- und Richtgrößenvereinbarung verbindlich.
3. Ausschließlich nicht behebbare Probleme rechtfertigen ein Absehen von der gesetzlich vorgesehenen Gliederung nach Altersgruppen und Krankheitsarten. Das Gesetz entfaltet für den Regelfall eine strikte Bindung, und Abweichungen hiervon sind nur in atypischen Fällen gestattet (vgl LSG Celle-Bremen vom 6.5.2011 - L 3 KA 9/11 B ER).
4. Zur Frage der Veränderung der Rechtslage durch die Änderung von § 296 SGB 5 durch das Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung - GKV-Modernisierungsgesetz (GMG) vom 14.11.2003 (BGBl I 2003, 2190) mit Wirkung vom 1.1.2004 (Aufgabe von SG Dresden vom 16.12.2010 - S 18 KA 1507/07).
5. Der Verzicht auf eine altersgemäße Gliederung der Arzneimittel-Richtgrößen für das Jahr 2007 ist nicht deshalb gerechtfertigt, weil die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen in Ermangelung einer eindeutigen und zwingenden Vorgabe in § 296 SGB 5 keine nach Altersklassen gegliederten Daten über Verordnungen und Kosten von Arzneimitteln geliefert haben (Entgegen LSG Celle-Bremen vom 6.5.2011 - L 3 KA 9/11 B ER).
Tenor
I. Der Widerspruchsbescheid vom 27.10.2010 wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
III. Der Streitwert wird auf 7.575,87 EUR festgesetzt.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Festsetzung eines Regresses im Ergebnis einer Prüfung der Wirtschaftlichkeit von Arzneimittelverordnungen des Jahres 2007 auf der Grundlage von Richtgrößen.
Der Kläger nimmt als Facharzt für Allgemeinmedizin mit Praxissitz in B. an der vertragsärztlichen Versorgung teil.
Mit Schreiben vom 21.07.2009 zeigte die Geschäftsstelle der Prüfgremien der Ärzte und Krankenkassen Sachsen an, eine Arzneimittel-Richtgrößenprüfung für das Jahr 2007 durchzuführen. Der Kläger teilte mit Schreiben vom 22.09.2009 am 24.09.2009 mit, wegen einer schwerwiegenden Erkrankung mit stationärem Aufenthalt ab dem 01.10.2009 arbeitsunfähig zu sein und derzeit keine Stellungnahme abgeben zu können.
Die Prüfungsstelle der Ärzte und Krankenkassen Sachsen setzte auf Grund ihres Beschlusses vom 15.10.2009 mit Bescheid vom 11.12.2009 gegen den Kläger einen Regress in Höhe von 28.238,47 EUR fest.
Seinen am 12.01.2010 hiergegen erhobenen Widerspruch vom 06.01.2010 begründete der Kläger mit Schreiben vom 22.02.2010 unter Hinweis auf zahlreiche Umstände, die seiner Auffassung nach die Patientenstruktur und das Leistungsangebot seiner Praxis von anderen hausärztlichen Praxen unterscheiden und zu einem Mehraufwand an Arzneimitteln führen würden. Unter anderem machte der Kläger geltend, nicht nur ältere Patienten litten an Hypertonie, sondern auch jüngere. Dabei sei die Altersklasse der 50 bis 59-Jährigen in seiner Praxis auffällig häufig vertreten. Bei den Patienten dieser Altersgruppe, die noch arbeitsfähig seien und eine hohe Restlebenserwartung aufwiesen, entscheide er sich gezielt für den Einsatz kostenintensiverer, jedoch nebenwirkungsärmerer Antihypertensiva, insbesondere ACE-Hemmer und AT1-Blocker einschließlich deren Wirkstoffkombinationen, die allein ein Verordnungsvolumen von 20.759,36 EUR bzw. 41.153,65 EUR umfassten und - bedingt durch die Altersstruktur - besonders häufig eingesetzt würden.
Der Beklagte änderte auf Grund des Beschlusses vom 11.08.2010 mit Widerspruchsbescheid vom 27.10.2010, der am selben Tage zur Post aufgegeben wurde, die Entscheidung der Prüfungsstelle ab und setzte den Regress in Höhe von 7.575,87 EUR wie folgt neu fest:
|
1 |
Richtgröße Mitglieder/Familienversicherte |
41,10 EUR |
lt. Bekanntmachung. |
2 |
Richtgröße Rentner |
129,32 EUR |
lt. Bekanntmachung |
3 |
Fallzahl Mitglieder/Familienversicherte |
3.815 |
lt. Honorarabrechnung |
4 |
Fallzahl Rentner |
2.191 |
lt. Honorarabrechnung |
5 |
Fallzahl insgesamt. |
6.006 |
= (3) + (4) |
6 |
Richtgrößen-Volumen Mitglieder/Familienversicherte |
156.796,50 EUR |
= (1) * (3) |
7 |
Richtgrößen-Volumen Rentner |
283.340,12 EUR |
= (2) * (4) |
8 |
Richtgrößen-Volumen insgesamt |
440.136,62 EUR |
= (6) + (7) |
9 |
gewichtete Richtgröße |
73,28 EUR |
= (8) / (5) |
10 |
Brutto-VO-Kosten bereinigt |
914.339,72 EUR |
lt. Datenträgeraustausch |
11 |
Überschreitung des RG-Volumens |
474.203,10 EUR |
= (10) - (8) |
12 |
Überschreitung in % |
107,74% |
= (11) / (8) |
13 |
anerka... |