Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgeld. keine Kürzung der Regelleistung für den Zeitraum des Aufenthalts des Kindes in temporärer Bedarfsgemeinschaft beim getrennt lebenden Elternteil. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. Die Kürzung des Sozialgeldes für Zeiten der Abwesenheit aus der Bedarfsgemeinschaft wegen der Ausübung des Umgangs mit dem getrennt lebenden Elternteil ist rechtswidrig.
2. Es ist als Folge der problematischen Rechtsfigur der Bedarfsgemeinschaft hinzunehmen, dass ein Kind von getrennt lebenden Eltern als Mitglied beider Bedarfsgemeinschaften insgesamt ein erhöhtes Sozialgeld erhält. Durch die Ausübung des Umgangsrechts entstehen in beiden Bedarfsgemeinschaften insgesamt erhöhte Bedarfe insbesondere hinsichtlich Hausrat und Bekleidung.
Tenor
I. Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin im Zeitraum 1. Juli 2010 bis 31. Dezember 2010 Sozialgeld in Höhe von weiteren 28,67 € pro Monat zu gewähren.
II. Der Bescheid vom 15. Juni 2010 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 21. Juni 2010 und 2. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2010 wird aufgehoben, soweit er dem entgegensteht.
III. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
IV. Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt höhere Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitssuchende - (SGB II) für den Zeitraum vom 1. Juli 2010 bis 31. Dezember 2010.
Die am … 1966 geborene Mutter der am … 2005 geborenen Klägerin ist arbeitslos und beantragte bei dem Beklagten am 7. Dezember 2004 erstmals Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für sich und ihren damaligen Lebensgefährten Herrn Z., den Vater der Klägerin. Seit März 2007 bewohnt die Klägerin zusammen mit ihrer Mutter eine ca. 60 m² große Wohnung in W. .
Auf den Weiterbewilligungsantrag der Mutter der Klägerin vom 15. Juni 2010 bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 15. Juni 2010 der Bedarfsgemeinschaft für die Monate Juli bis Dezember 2010 monatlich vorläufig 773,75 €. Davon entfielen 87,75 € auf die Klägerin. Mit Änderungsbescheid vom 21. Juni 2010 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft vorläufig monatlich 727,88 € für den selben Zeitraum. Davon entfielen 82,55 € auf die Klägerin. Die Mutter der Klägerin erhob am 12. Juli 2010 Widerspruch. Mit weiterem Änderungsbescheid vom 2. August 2010 bewilligte der Beklagte der Bedarfsgemeinschaft monatlich 753,33 € für den selben Zeitraum. Davon entfielen 67,33 € auf die Klägerin.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16. August 2010 wies der Beklagte den Widerspruch zurück.
Die Klägerin und ihre Mutter haben am 26. August 2010 Klage vor dem Sozialgericht Dresden erhoben. Sie tragen im Wesentlichen vor, zwar halte sich die Klägerin in der Regel einmal im Monat bei ihrem Vater auf. Es handele sich hierbei aber nicht um vier volle Tage. Die Begrenzung der Zahlung der Regelleistung auf bestimmte Tage sei nicht zulässig. Der Vater der Klägerin habe durchgängig Leistungen nach dem SGB II bezogen.
Die Klägerin beantragt:
Der Bescheid vom 21. Juni 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2010 wird aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die ungekürzte Regelleistung für nicht erwerbsfähige Hilfebedürftige zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt im Wesentlichen vor, an allen Tagen, an denen sich die Klägerin mehr als zwölf Stunden lang nicht im Haushalt der Mutter aufgehalten habe, sei sie nicht als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft der Mutter leistungsberechtigt. Dies ergebe sich aus der vom Bundessozialgericht entwickelten Konstruktion der temporären Bedarfsgemeinschaft. Eine doppelte Gewährung der Regelleistung sei nach dieser Konstruktion nicht gewollt.
Die Mutter der Klägerin hat ihre Klage am 15. November 2010 zurück genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von Sozialgeld in Höhe von weiteren 28,67 € im streitgegenständlichen Zeitraum. Der Bescheid vom 15. Juni 2010 in der Fassung der Änderungsbescheide vom 21. Juni 2010 und 2. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. August 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit er ihr diesen Anspruch versagt.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II erhalten Personen, die das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze des § 7a SGB II noch nicht erreicht haben, erwerbsfähig und hilfebedürftig sind und ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben, Leistungen nach dem SGB II. Nicht erwerbsfähige Angehörige, die mit erwerbsfähigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, erhalten Sozialgeld, soweit sie keinen Anspruch auf Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII haben, § 28 Abs. 1 Satz 1 SGB I...