Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlichkeitsprüfung in der vertragsärztlichen Versorgung. Vorverfahren vor dem Beschwerdeausschuss vor einem Verordnungsregress. Begründung einer Ausnahmeindikation. Dokumentationsobliegenheit des Vertragsarztes. Nachholung des Tatsachenvortrags

 

Orientierungssatz

1. Abweichend von § 106 Abs 5 S 8 SGB 5 ist ein Vorverfahren vor dem Beschwerdeausschuss nach § 106 Abs 5 S 3 SGB 5 auch dann durchzuführen, wenn der betroffene Vertragsarzt gegenüber dem Antrag einer Krankenkasse auf Festsetzung eines Regresses wegen des Verstoßes gegen einen Verordnungsausschluss auf Grund der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB 5 ausdrücklich oder sinngemäß einwendet, er habe gemäß § 31 Abs 1 S 4 SGB 5 wegen der besonderen medizinischen Umstände im Einzelfall das Arzneimittel zu Lasten der Krankenkasse verordnen dürfen, und Tatsachen benennt, die eine solche Ausnahmeindikation zumindest nicht von vornherein aus Rechtsgründen als ausgeschlossen erscheinen lassen (Fortführung von BSG vom 11.5.2011 - B 6 KA 13/10 R = BSGE 108, 175 = SozR 4-2500 § 106 Nr 32).

2. § 31 Abs 1 S 4 SGB 5 begründet eine Dokumentationsobliegenheit des Vertragsarztes. Zu dokumentieren sind die Umstände, aus denen der Arzt den Schluss zieht, dass die für den Verordnungsausschluss auf Grund der Arzneimittel-Richtlinie tragenden Erwägungen im konkreten Einzelfall nicht eingreifen.

3. Die medizinische Begründung im Einzelfall muss zeitnah zur Verordnung des Arzneimittels angefertigt werden und kann im Verfahren der Wirtschaftlichkeitsprüfung nicht nachgeholt werden (Anschluss an LSG Berlin-Potsdam vom 15.2.2012 - L 9 KR 292/10).

4. Notwendig und ausreichend ist die Dokumentation der für die Ausnahme vom Verordnungsausschluss im Einzelfall maßgeblichen Umstände in den Patientenunterlagen. Eine Begründung auf dem Verordnungsvordruck ist ebenso wenig angezeigt wie eine vorsorgliche Mitteilung der Gründe an die Krankenkasse (entgegen LSG Berlin-Potsdam Urteil vom 15.2.2012 - L 9 KR 292/10 aaO).

5. Abweichend von dem Grundsatz, dass der Vertragsarzt seiner Obliegenheit zum Tatsachenvortrag grundsätzlich im Verwaltungsverfahren zu genügen hat und nach dessen Abschluss mit Sachvortrag nicht mehr gehört werden kann, darf der Vertragsarzt sich auf Nachweise für eine ausreichende und zeitnah dokumentierte medizinische Einzelfallbegründung im Sinne des § 31 Abs 1 S 4 SGB 5 auch noch nach Abschluss des Verfahrens vor dem zuständigen Prüfgremium berufen, wenn dieses ihn trotz substantiierten Vortrags im Prüfungsverfahren auf die Erforderlichkeit der Nachweisführung nicht rechtzeitig hingewiesen hat.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 02.07.2014; Aktenzeichen B 6 KA 25/13 R)

 

Tenor

I. Der zu 3 beigeladene Beschwerdeausschuss Ärzte und Krankenkassen Sachsen wird verurteilt, über den Widerspruch gegen den Bescheid der Beklagten vom 14.07.2011 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens tragen die Beklagte und der Beigeladene zu 3 je zur Hälfte.

III. Der Streitwert wird auf 434,22 EUR festgesetzt.

IV. Die Revision ist zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über einen Arzneimittelkostenregress wegen der Verordnung von Natriumhyaluronat-Injektionslösung (HYALART®).

Der als Facharzt für Chirurgie/Sportmedizin an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Kläger verordnete am 15.06.2009 zwei gesetzlich Versicherten der zu 1 beigeladenen Krankenkasse jeweils fünf HYALART®-Fertigspritzen. Nach Abzug des Rabattes (je 12,94 EUR) und der gesetzlichen Zuzahlung (je 10,00 EUR) von den Bruttoverordnungskosten (je 240,05 EUR) wurde die Beigeladene zu 1 in beiden Fällen mit Nettoverordnungskosten von je 217,11 EUR belastet.

Mit am 30.06.2010 bei der Geschäftsstelle der Prüfgremien eingegangenem Antrag vom 28.06.2010 beantragte die Beigeladene zu 1 die Festsetzung eines Arzneimittelkostenregresses gegenüber dem Kläger. Als Grund hierfür gab sie an, dass die zu ihren Lasten verordneten Präparate gemäß Anlage III Nr. 9 der Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses in der seit dem 01.04.2009 geltenden Fassung (AM-RL) - Verordnungsausschluss für Antiarthrotika und Chondroprotektiva - nicht zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig seien.

Auf das Anhörungsschreiben der Geschäftsstelle der Prüfgremien vom 28.07.2010 nahm der Kläger mit am 23.08.2010 eingegangenem Schreiben vom 19.08.2010 dahingehend Stellung, dass er das Präparat gemäß Abschnitt G Nr. 20.2 Buchstabe k der Arzneimittel-Richtlinien (AMR) in der bis zum 31.03.2009 geltenden Fassung (a.F.) zur intraartikulären Injektion bei Gonarthrose eingesetzt habe. Durch frühere, der Stellungnahme beigefügte, Prüfbescheide für die Quartale II/2002 und I/2005 sei bereits festgestellt worden, dass den Krankenkassen kein Schaden entstanden sei. In der Begründung der vorgelegten Bescheide wird ausgeführt, dass in den zur Prüfung gestellten Fällen die Indikatio...

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