Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Ruhen des Krankengeldanspruchs bei verspäteter Meldung der Arbeitsunfähigkeit. Verpflichtung der Vertragsärzte zur elektronischen Übermittlung von Arbeitsunfähigkeitsdaten an die Krankenkasse. Wegfall der Meldeobliegenheit der Versicherten. kein Aufschub aufgrund von Vereinbarungen durch die Partner der Bundesmantelverträge
Leitsatz (amtlich)
1. Mit Inkrafttreten der gesetzlichen Pflicht der Vertragsärzte, Arbeitsunfähigkeitsdaten elektronisch direkt an die Krankenkassen zu übermitteln, entfiel ab dem 1.1.2021 die Obliegenheit der Versicherten, selbst die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse zu melden, um ein Ruhen des Krankengeldanspruchs nach § 49 Abs 1 Nr 5 SGB V abzuwenden (Anschluss an SG Dresden vom 19.1.2022 - S 45 KR 575/21).
2. Dem Wegfall der Meldeobliegenheit steht nicht entgegen, dass die Einrichtung der Telematikinfrastruktur zur Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten über den 1.1.2021 hinaus aufgeschoben wurde; die gesetzlich angestrebte Entlastung der Versicherten steht nicht zur Disposition der Partner der Bundesmantelverträge.
3. Es kommt nicht darauf an, ob die Versicherten auf eine elektronische Übermittlung der Arbeitsunfähigkeitsdaten vertraut haben.
4. Die Revision ist zugelassen.
Tenor
I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 03.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.06.2021 verurteilt, dem Kläger Krankengeld für den Zeitraum vom 10.01.2021 bis zum 20.01.2021 zu gewähren.
II. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.
III. Berufung und Revision sind zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Krankengeld.
Der bei der Beklagten als Beschäftigter gesetzlich krankenversicherte Kläger war seit dem 29.11.2020 erkrankt, ab dem 30.11.2020 wurde ihm Arbeitsunfähigkeit (AU) attestiert.
Am 09.12.2020 stellte die Hausärztin die weitere AU bis einschließlich 06.01.2021 und am 08.01.2021 die nahtlose weitere AU seit dem 30.11.2020 bis einschließlich 07.02.2021 fest.
Bis zum 09.01.2021 zahlte der Arbeitgeber dem Kläger das Arbeitsentgelt fort.
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die AU-Bescheinigung der Beklagten am 12.01.2021 zuging, wie der Kläger behauptet, oder erst am 21.01.2021, wie der Eingangsstempel (Bl. 5 der Verwaltungsakte) ausweist.
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 03.02.2021 fest, dass wegen des Zugangs der AU-Bescheinigung am 21.01.2021 der Anspruch des Klägers auf Krankengeld vom 10.01.2021 bis zum 20.01.2021 geruht habe und ihm deshalb für diesen Zeitraum kein Krankengeld zu zahlen sei.
Seinen am 13.02.2021 hiergegen erhobenen Widerspruch vom 12.02.2021 begründete der Kläger damit, seine Ehefrau habe die AU-Bescheinigung am 12.01.2021 in den Servicebriefkasten der Geschäftsstelle B. eingeworfen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 03.06.2021 zurück. Die AU-Bescheinigung sei ihr tatsächlich erst am 21.01.2021 und damit nach Ablauf der Wochenfrist für die Meldung der AU nach § 49 Absatz 1 Nummer 5 SGB V zugegangen.
Hiergegen richtet sich die am 28.06.2021 erhobene Klage vom 25.06.2021. Der Kläger macht weiterhin geltend, die AU-Bescheinigung sei der Beklagten bereits am 12.01.2021 durch Einwurf in den Servicebriefkasten der Geschäftsstelle zugegangen (Beweis: schriftliche Erklärung der Ehefrau des Klägers, C., vom 16.02.2022, Bl. 20 der SG-Akte, sowie die Zeugenvernehmung der Ehefrau). Der Posteingangsstempel der Beklagten auf der AU-Bescheinigung sei falsch.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 03.02.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.06.2021 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihm Krankengeld auch für den Zeitraum vom 10.01.2021 bis zum 20.01.2021 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie beruft sich zum Beweis des von ihr angenommenen Zugangsdatums 21.01.2021 auf den Urkundencharakter des Eingangsstempels auf der AU-Bescheinigung.
Nach Hinweis des Vorsitzenden auf das Urteil der 45. Kammer des SG Dresden vom 19.01.2022 - S 45 KR 575/21 - haben die Beteiligten sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Absatz 2 SGG einverstanden erklärt. Die Beklagte hat zudem beantragt, die Revision unter Übergehung der Berufungsinstanz zuzulassen. Die Bevollmächtigten des Klägers haben mit Schriftsatz vom 14.03.2022 sowohl der Zulassung als auch der Einlegung der Sprungrevision bereits zugestimmt (Bl 25 der SG-Akte).
Wegen der Einzelheiten wird gemäß § 136 Absatz 2 Satz 1 SGG auf den Inhalt der vorbereitenden Schriftsätze einschließlich der Anlagen und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht entscheidet mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Absatz 2 SGG über die Klage durch Urteil ohne mündliche Verhandlung.
Die Klage ist zulässig und begründet. Der Kläger hat gemäß § 44 Absatz 1 SGB V einen Anspruch auf Krankengeld bereits ab dem 10.01.2021 bis einschließlich zum ...