Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilferecht: Leistungen zur Teilhabe eines behinderten Menschen am Leben in der Gemeinschaft. Anspruch auf Eingliederungsleistungen für ein Studium bei zuvor absolvierter Berufsausbildung. Übernahme der Kosten für Gebärdensprachdolmetscher zur Absolvierung eines Hochschulstudiums als Eingliederungshilfe
Orientierungssatz
1. Im Rahmen der Leistungen zur Teilhabe eines behinderten Menschen am Leben in der Gemeinschaft kommt es in Bezug auf eine beantragte Eingliederungshilfe zur Bewältigung eines Studiums (hier: Bewilligung der Leistungen von Gebärdendolmetschern bei einem hörgeschädigten Studenten) nicht darauf an, ob der Betroffene bereits eine Ausbildung absolviert hat, die ihm eine Teilhabe am Arbeitleben ermöglicht. Beurteilungsmaßstab ist vielmehr die Frage, ob die gewählte weitere Ausbildung den Fähigkeiten und Neigungen des Betroffenen entspricht und in diesem Sinne erfolgreich absolviert werden kann.
2. Einzelfall zur Übernahme der Kosten für Gebärdendolmetscher als Eingliederungsleistungen zur Absolvierung eines Studiums durch einen hörgeschädigten Studenten (hier: Kostenübernahmeanspruch bejaht).
Tenor
Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig Eingliederungshilfe durch Übernahme der Kosten für Gebärdensprachdolmetscher für 11,5 Wochenstunden Vorlesungen und sonstige Lehrveranstaltungen, davon 7 Stunden in Doppelbesetzung, zu den Konditionen, die der LVR mit dem Berufsverband der Gebärdensprachdolmetscher NRW ausgehandelt hat, vom Tag des Erlasses dieses Beschlusses an bis zum 31.07.2010 zu gewähren. Der Antragsgegner wird ferner verpflichtet, vorläufig Kosten für studentische Mitschreibhilfen nach angemessenem Bedarf in Höhe von 6,00 Euro pro Stunde vom Beginn der Vorlesungszeit (12.04.2010) an bis zum 31.07.2010 zu gewähren. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in Höhe von 4/5.
Gründe
I.:
Die 1979 geborene Klägerin ist gehörlos mit einem Grad der Behinderung von 100. Sie hat 2000 am Rheinisch-Westfälischen Berufskolleg für Hörgeschädigte in F die allgemeine Hochschulreife mit einem Durchschnitt von 2,9 erworben. Anschließend absolvierte sie eine Ausbildung zur Mediengestalterin für Digital- und Printmedien - Mediendesign -, die sie 2003 mit dem Gesamtergebnis "befriedigend" beendete. In diesem Beruf arbeitete sie von 2003 bis September 2009. Im Oktober 2009 hat die Antragstellerin das Studium der Druck- und Medientechnologie an der Universität X aufgenommen (angestrebter Abschluss: Bachelor). Den Lebensunterhalt während des Studiums hat sie bislang durch eine Nebenbeschäftigung bei ihrem früherem Arbeitgeber bestritten. Sie gibt an, dies während des Studiums so beibehalten zu wollen.
Mit Schreiben vom 05.10.2009, beim Antragsgegner am 06.10.2009 eingegangen, beantragte die Antragstellerin bei dem Antragsgegner Studienhilfen zur Durchführung des Studiums in Form von Gebärdensprachdolmetscher (16 Stunden in Doppelbesetzung), studentische Mitschreibkräfte und Tutoren (10 Wochenstunden durchgängig - Vorlesungs- und vorlesungsfreie Zeit). Sie gab an, dass in der Medienbranche die Entwicklung sehr schnell sei. Um mit dieser Entwicklung Schritt halten zu können und sich beruflich weiter entwickeln zu können, habe sie sich zur Aufnahme des Studiums entschlossen. Mit Bescheid vom 04.11.2009 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Entscheidend für die Hilfegewährung sei die Klärung der Frage, ob die Antragstellerin mit dem Studium eine bereits begonnene Ausbildung kontinuierlich fortsetzen (Erstausbildung) oder ob sie sich mit dem Hochschulstudium eine neue Ausbildung beginnen wolle (Zweitausbildung bzw. Fortbildung, Umschulung). Nur die Erstausbildung zähle zum Pflichtenkatalog der Sozialhilfe. Da die Antragstellerin jedoch das Studium nicht nahtlos an die Ausbildung angeschlossen habe, könne von einer Erstausbildung nicht mehr gesprochen werden. Bei dem Studium handele es sich daher um eine Fortbildungsmaßnahme, die nur dann gefördert werden könne, wenn der Behinderte ohne die Fortbildung den erlernten Beruf wegen der Behinderung nicht oder nur unzureichend ausüben könne und außerdem kein anderer Sozialleistungsträger die erforderliche Hilfe gewähre. Die Antragstellerin könne aber noch als Mediendesignerin arbeiten. Sozialhilfe leiste nur ein Mindestmaß an Hilfe. Hierzu gehöre nicht die Förderung eines Studiums, wenn der Betreffende im erlernten Beruf seinen Lebensunterhalt verdienen könne.
Hiergegen erhob die Klägerin am 27.11.2009 Widerspruch und machte geltend, dass sie es als diskriminierend empfinde, wenn für sie die berufliche Weiterbildung nach Ausbildung und Berufstätigkeit beendet sein soll, nur weil sie gehörlos sei. Sie nehme das Recht in Anspruch, sich barrierefrei weiter zu bilden; hierzu benötige sie einen Gebärdensprachdolmetscher.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10.02.1010 wies der Antragsgegner den Widerspruch der Antragstellerin als unbegründet zurück im Wesentlichen mit der Argumentatio...