Entscheidungsstichwort (Thema)

Überprüfungsantrag einer Regelaltersrente. früherer Rentenbeginn und rückwirkende Gewährung einer Rente nach dem ZRBG. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Die Ausschlussfrist des § 44 Abs 4 SGB 10 ist verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl BSG vom 15.12.1982 - GS 2/80 = BSGE 54, 223 = SozR 1300 § 44 Nr 3 und vom 23.7.1986 - 1 RA 31/85 = BSGE 60, 158 = SozR 1300 § 44 Nr 23). Sie ist unabhängig von einem Verschulden der Behörde beim Erlass des aufgehobenen Verwaltungsaktes gültig (vgl BSG vom 11.4.1985 - 4b/9a RV 5/84 = SozR 1300 § 44 Nr 17, vom 4.2.1987 - 5a RKn 8/86 = BSGE 61, 154 = SozR 1300 § 48 Nr 32 und vom 28.1.1999 - B 14 EG 6/98 B = SozR 3-1300 § 44 Nr 25) und ihre Anwendung stellt keinen Verstoß gegen Treu und Glauben dar, weil es sich um zwingend bei der Rücknahme eines Verwaltungsaktes zu beachtendes Recht handelt (vgl BSG vom 23.7.1986 - 1 RA 31/85 = BSGE 60, 158 = SozR 1300 § 44 Nr 23, vom 24.7.2001 - B 4 RA 94/00 R = SozR 3-5795 § 4 Nr 7, vom 6.3.2003 - B 4 RA 38/02 R = BSGE 91, 1 = SozR 4-2600 § 115 Nr 1).

2. Dies gilt insbesondere auch dann, wenn die auf einen Überprüfungsantrag hin erfolgte rückwirkende Leistungsgewährung einer Änderung der Rechtsprechung geschuldet ist (vgl BSG vom 13.9.1994 - 5 RJ 30/93).

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die rückwirkende Gewährung einer Rente streitig.

Der am ... 1922 in R... geborene Kläger ist anerkannter Verfolgter des Nationalsozialismus und hat eine Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) erhalten. Er besitzt heute die israelische Staatsangehörigkeit. Am 24.09.2002 beantragte er die Gewährung eine Altersrente auf der Grundlage des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG). Er machte geltend, in der Zeit von Ende 1939 bis Mai 1942 freiwillig im Ghetto R... tätig gewesen zu sein, zunächst als Bauarbeiter im Barackenbau für die Luftwaffe, später als Metallarbeiter in der Munitionsfabrik. Hierfür habe er Naturalien und von Mai bis August 1942 Bargeld (Zloty) bekommen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 12.07.2005 ab. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Gewährung von Altersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten. Seine jetzigen Angaben stünden im Widerspruch zu seinen Angaben aus dem Entschädigungsverfahren. Dort habe er angegeben, die Tätigkeit in der Munitionsfabrik erst im Zwangsarbeitlager und nicht im Ghetto R... verrichtet zu haben. Ferner scheitere die Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten an der fehlenden Glaubhaftmachung der Entgeltlichkeit. Die Gewährung freier Beköstigung und freien Unterhalts stelle noch kein Entgelt im rentenrechtlichen Sinne dar. Der Kläger widersprach und machte insbesondere geltend, sich im fraglichen Zeitraum im Ghetto R... aufgehalten zu haben. Die Tätigkeit in der Munitionsfabrik habe er dort und nicht erst im Zwangsarbeitslager verrichtet. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 09.03.2006 zurück. Der Kläger sei insbesondere nicht entgeltlich tätig gewesen, er habe für seine Tätigkeit keine angemessene Entlohnung erhalten. Die Vergütung habe nur dem Erhalt der Arbeitskraft gedient. Hiergegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Düsseldorf (Az.: S 53 (51) R 16/06). Mit Urteil vom 29.06.2007 verurteilte das Sozialgericht die Beklagte zur Gewährung einer Altersrente ab dem 01.07.1997 unter Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 01.06.1940 bis 31.08.1942. Der Kläger habe im fraglichen Zeitraum insbesondere entgeltlich gearbeitet. Entscheidend seien nicht Art und Höhe der Entlohnung. Es komme allein darauf an, ob die Zuwendung tatsächlich wegen der geleisteten Arbeit und nicht aus anderen Gründen erfolgt sei. Auf die Berufung der Beklagten hob das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf mit Urteil vom 21.04.2008 auf und wies die Klage ab (Az.: L 3 R 173/07). Soweit der Kläger geltend mache, im Ghetto R... in der Munitionsfabrik gearbeitet zu haben, sei dies wegen seiner Angaben aus dem Entschädigungsverfahren nicht glaubhaft. Dort habe er geschildert, erst im Zwangsarbeitslager R... in der Munitionsfabrik gearbeitet zu haben. Es sei auch nicht glaubhaft, dass er im Ghetto R... in einer Baufirma gearbeitet habe. Diese Tätigkeit habe er im Entschädigungsverfahren überhaupt nicht erwähnt. Hiergegen erhob der Kläger keine weiteren Rechtsmittel.

Am 25.09.2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Überprüfung der “seinerzeitigen Entscheidungen„ (Widerspruchsbescheid vom 09.03.2006 und Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21.04.2008). Die Rechtsprechung des BSG habe sich durch die Urteile vom 02.06. und 03.06.2009 völlig verändert. Diesem Antrag entsprach die Beklagte mit Bescheid vom 21.04.2010 und gewährte dem Kläger Regelaltersrente ab dem 01.01.2005. Ab dem 01.04.2010 seien 407,85 € monatlich zu zahlen, die ...

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