Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschränkte Korrektur eines bestandskräftigen Abrechnungsbescheides der Kassenärztlichen Vereinigung
Orientierungssatz
1. Regelungsgehalt eines Abrechnungsbescheides der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) gegenüber dem Vertragsarzt i. S. von § 31 S. 1 SGB 10 ist nicht nur die Menge der erbrachten Leistungen, sondern auch die Festsetzung der Höhe des Honorars für das jeweilige Quartal. Die Bewertung psychotherapeutischer Leistungen muss eine angemessene Höhe der Vergütung je Zeiteinheit gewährleisten.
2. Die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes nach § 44 Abs. 2 S. 2 SGB 10 steht im Ermessen der Behörde.
3. Eine allgemeine Verpflichtung der Behörden, rechtswidrige Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts der Bestandskraft zu korrigieren, besteht nicht. Dies gilt in besonderem Maß im Vertragsarztrecht.
4. Seit 2013 werden psychotherapeutische Leistungen aus der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen honoriert. Eine Verpflichtung der KV zur Nachvergütung psychotherapeutischer Leistungen aus der Gesamtvergütung besteht seit 2013 nicht, weil dies zu Lasten der anderen Fallgruppen gehen würde und die rechtlichen Vorgaben, diese Leistungen außerhalb der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung zu bezahlen, unterlaufen würden.
5. Bestandskräftige Verwaltungsakte sind gemäß § 77 SGG für die Beteiligten grundsätzlich bindend. Sowohl der Leistungserbringer als auch die KV können sich auf den Inhalt des Bescheides verlassen und sind aus seinen Regelungen entsprechend berechtigt bzw. verpflichtet.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
Streitig ist die Rücknahme bestandskräftiger Abrechnungsbescheide.
Der Kläger ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit Vertragsarztsitz in E. Die Abrechnungsbescheide für die Quartale 1/2014 bis 1/2015 sind bestandskräftig geworden, nachdem der Kläger seinen Widerspruch betreffend das Quartal 2/2014 zurückgenommen und im Übrigen den Abrechnungsbescheiden nicht widersprochen hatte.
Unter dem 29.10.2015 wandte sich der Kläger an die Beklagte und begehrte das Wiederaufgreifen des Verfahrens bezüglich der Abrechnungsbescheide 1/2014 bis 1/2015. Er habe erst jetzt erfahren, dass für diese Abrechnungszeiträume ein höheres Honorar bestimmt worden sei, als es in den Bescheiden festgesetzt worden sei.
Mit Bescheid vom 18.02.2016 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab. Über die Rücknahme bestandskräftiger Verwaltungsakte entscheide die Kassenärztliche Vereinigung (KÄV) nach pflichtgemäßem Ermessen. Es sei ermessensfehlerfrei, wenn sie hierbei das Interesse der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung über das Interesse des einzelnen Leistungserbringers an der Korrektur bestandskräftiger Abrechnungsbescheide stelle. Im Übrigen seien die angefochtenen Abrechnungsbescheide rechtmäßig.
Diesem Bescheid widersprach der Kläger. Ein Rundschreiben der Beklagten vom 13.01.20016 stelle richtig fest, dass die Vergütung rückwirkend ab 2012 zu erhöhen sei. Nur durch Abänderung der Honorarbescheide könne der angestrebte Zweck, nämlich Besserversorgung der Patienten, erreicht werden. Im Übrigen stelle die Ablehnung auch einen Verstoß gegen die grundgesetzlich garantierte Gleichbehandlung dar. Wahrscheinlich habe die große Mehrheit der Psychotherapeuten gegen die fraglichen Honorarbescheide Widerspruch erhoben. Er als Praxisneugründer und Anfänger mit wesentlich höheren Anfangskosten als etablierte Praxen habe von der Notwendigkeit des ständigen und regelmäßigen Widerspruchs gegen die Bescheide nichts gewusst. Die Aufhebung der Bescheide und Gewährung der Mehrvergütung gebiete sich auch aus Gründen der Rechtssicherheit und aus dem Rechtsstaatsprinzip.
Am 08.04.2016 hat der Kläger Klage erhoben.
Er nimmt Bezug auf sein Vorbringen im Widerspruchsverfahren und wirft darüber hinaus die Frage auf, ob sich die Abrechnungsbescheide nicht lediglich auf die Feststellung der Menge der erbrachten Leistungen bezögen und nicht auf die zu erstattende Honorarsumme. Die Erstattungsbeträge seien grundsätzlich feststehend und nicht variabel durch Bescheid festzustellen.
Während des Klageverfahrens hat die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.05.2016 den Widerspruch des Klägers zurückgewiesen.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des Bescheides vom 18. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 2016 die Beklagte zu verurteilen, die bestandskräftigen Honorarbescheide für die Quartale 1/2014 bis 1/2015 aufzuheben und die Honorare für diese Quartale unter Berücksichtigung der Beschlusslage des Erweiterten Bewertungsausschusses neu festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt ihre Entscheidung. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung mache eine KÄV von ihrem Rücknahmeermessen rechtmäßig Gebrauch, wenn sie die Belastung der Gesamtvergütung mit Nachzahlungen für die Vergangenheit so gering wie möglich halte und deshalb regelmäßi...