Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenbehandlung. Anspruch auf Kostenübernahme für Tattoo-Entfernung
Orientierungssatz
Zum Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Entfernung eines Tattoos am Hals, das im Rahmen einer Straftat (hier: Zwangsprostitution) gestochen wurde.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 17.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2016 verurteilt, die Kosten der Entfernung des Tattoos der Klägerin zu übernehmen.
Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Kostenübernahme für die Entfernung eines Tattoos umstritten.
Die am 00.00.1986 geborene Klägerin ist bei der beklagten Krankenkasse versichert. Über einen vermeintlichen Freund, E1 C., wurde sie über einen Zeitraum von ca. 2 ½ Jahre zur Prostitution gezwungen. An dieser Tat war ein weiterer Täter namens N B. beteiligt. Das Täterduo nannte sich "die i1 A1". Während dieser Zeit wurde der Klägerin unter dem Vorwand der Verbundenheit zu E1 C. ein Tattoo am Hals mit den Initialen der Vornamen beider Täter (E1 und N) sowie der Abkürzung E1I 0 für "die i A1" gestochen. Erst am 28.10.2015 wurde die Klägerin von der Polizei aus der Zwangsprostitution befreit, sie leidet auch heute noch an den Folgen der Straftat. Am 10.11.2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, die Kosten für die Entfernung des Tattoos zu übernehmen. Sie überreichte einen Kostenvoranschlag der M GmbH E2 vom 09.11.2015, wonach für die Tattooentfernung für die 1. bis 10. Sitzung jeweils 150 EUR inkl. Mehrwertsteuer anfielen, ab der 11. Sitzung seien 119 EUR zu zahlen. Die Anzahl der Sitzungen sei nicht vorhersehbar, die Entfernung von Profi-Tätowierungen könne aber 20 Sitzungen und mehr benötigen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 17.11.2015 ab. Die Entfernung des Tattoos sei keine Krankenbehandlung. Dieser Bescheid enthielt keine Rechtsmittelbelehrung.
Die Klägerin widersprach am 19.04.2016 unter Bezugnahme auf eine psychosoziale Stellungnahme der Pädagogin Q vom 18.12.2015. Danach sei die Klägerin schwer traumatisiert, nachdem sie über einen Zeitraum von ca. 2 ½ Jahren zur Prostitution gezwungen worden sei. Während dieser Zeit sei sie u.a. auch tätowiert worden. Dadurch sei sie stigmatisiert und gefährdet. Für ihre seelische Genesung und für eine erfolgreiche Psychotherapie sei es notwendig, dass das Tattoo, das sie optisch stigmatisiere, entfernt werde. Diesen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 27.05.2016 zurück. Die Klägerin könne die Entfernung des Tattoos nicht im Rahmen der Krankenbehandlung beanspruchen. Das Tattoo selbst sei keine Krankheit, Krankenkassen schuldeten aber nur die Maßnahmen, die unmittelbar an der eigentlichen Krankheit ansetzten. Bei psychischen Leiden beschränke sich der Heilbehandlungsanspruch deshalb auf eine Behandlung mit den Mitteln der Psychiatrie und Psychotherapie. Ein operativer Eingriff in einen regelrechten (gesunden) Körper zur Behandlung psychischer Leiden sei den Krankenkassen somit nicht gestattet. Die Klägerin macht geltend, den Widerspruchsbescheid am 02.06.2016 erhalten zu haben.
Mit ihrer am 04.07.2016, einem Montag, erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Begehren weiter verfolgt.
Sie ist weiterhin der Auffassung, von der Beklagten die Entfernung des Tattoos beanspruchen zu können. Dem Tattoo komme entstellende Wirkung zu.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 17.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.05.2016 zu verurteilen, ihr die Kostenübernahme für eine Tattoo-Entfernung zu bewilligen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hält an der getroffenen Entscheidung fest.
Das Gericht hat Beweis erhoben, indem es zunächst von den LVR-Kliniken E2, Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, einen Bericht vom 27.09.2016 eingeholt hat. Die dort tätigen Ärzte haben mitgeteilt, die Klägerin habe sich am 29.02., 04.03. und 22.04.2016 in der Institutsambulanz vorgestellt. Es sei eine schwere depressive Episode sowie eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) diagnostiziert worden. Aus medizinischer Sicht sei es erforderlich, sowohl die Depression als auch die PTBS psychotherapeutisch und pharmakologisch zu behandeln, um eine Symptomreduzierung zu erzielen und eine Persistenz oder Verschlimmerung der Beschwerden zu verhindern. Die Behandlungsziele könnten durch eine (ambulante oder stationäre) psychiatrische oder psychosomatische sowie eine psychotherapeutische Behandlung erreicht werden. Bei ausreichend schützender Funktion des Umfeldes sei die Erfolgsprognose als hoch einzuschätzen.
Des Weiteren hat das Gericht von der Diplom-Psychologin I2-A2 einen Befundbericht vom 02.11.2016 eingeholt. Diese hat mitgeteilt, die Klägerin sei dort seit dem 07.04.2016 in psychotherapeutischer Behandlung bei mittelgradiger Depression und PTBS. Es bestehe eine gute Erfolgsprognose bei intensiver ambulanter Psychotherapie, die dur...