Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Ersatzansprüche des Grundsicherungsträgers wegen sozialwidrigen Verhaltens eines Grundsicherungsempfängers bei der Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit. Bedeutung eines Fremdverschuldens für den Erstattungsanspruch. anzuwendende Regelung bei Gesetzesänderung nach einer sozialwidrigen Handlung
Orientierungssatz
1. Die Pflicht zur Rückerstattung von erhaltenen Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende wegen sozialwidriger Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit kommt nur in Betracht, wenn dieses Verhalten auf einem Eigenverschulden des Grundsicherungsempfängers basiert. Dagegen ist die Geltendmachung eines solchen Erstattungsanspruchs bei Fremdverschulden ausgeschlossen.
2. Die Erstattungspflicht in Bezug auf Grundsicherungsleistungen wegen der sozialwidrigen Herbeiführung einer Hilfebedürftigkeit bestand bis zum 31.07.2016 nur in Bezug auf den erstmaligen Eintritt des Hilfebedarfs. Dagegen besteht eine solche Erstattungspflicht nicht, wenn während des bestehenden Leistungsbezugs der Hilfebedarf durch eine vermögensbezogene Handlung aufrechterhalten oder verlängert wird. Für alle Sachverhalte, die vor diesem Stichtag liegen, kann die ab 01.08.2016 geltende Neuregelung der Erstattungspflicht nicht angewandt werden, da insoweit für die Rechtsanwendung auf die Rechtslage im Zeitpunkt der Handlung abzustellen ist.
Tenor
Der Bescheid des Beklagten vom 04.07.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.04.2019 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über das Bestehen eines Ersatzanspruches nach § 34 Zweites Buch Sozialgesetzbuch [SGB II] über 21.530,16 €.
Der am 1965 geborene Kläger ist seit seiner Kindheit schwerhörig (80 %). Er trägt beidseitig ein Hörgerät und wird bei Arztbesuchen und Behördengängen durch seine Schwester, Frau, sowie seinen Schwager, Herrn, unterstützt. Teilweise erhielt er auch weitere Unterstützung durch seinen Bruder. Der Kläger hatte in Vergangenheit einen Riestervertrag über 10.899,23 € bei der Alten Leipziger (Vers.Nr.: 7) gehabt. Der Vertrag war 2007 abgeschlossen worden.
Der Kläger hatte in der Vergangenheit von dem Beklagten Leistungen nach dem SGB II von dem Beklagten bezogen. Insbesondere hatte der Kläger auch im Zeitraum vom 01.06.2016 bis zum 31.05.2018 Leistungen nach dem SGB II von dem Beklagten bezogen, die ihm mit Bescheiden vom 14.12.2015, vom 12.12.2016 und 18.12.2017 gewährt worden waren. Dabei sind über die zwei Jahre Leistungen in Höhe von 21.530,16 € gewährt und ausgezahlt worden.
Im Frühjahr 2016 erfolgte ein Gespräch von Frau und Herrn bei einer Fachanwältin für Sozialrecht, Frau Rechtsanwältin. Die Inhalte des Gespräches sind zwischen den Beteiligten umstritten.
Mit einem von dem Kläger unterschriebenem Schreiben vom 02.05.2016 kündigte dieser gegenüber seiner Versicherung den Riestervertrag und bat um Auszahlung auf ein Konto bei der Sparda West (DE0). Hierbei handelte es sich um das Konto der Nichte des Klägers, Frau. Frau ist die Tochter der Eheleute . Gegenüber dem Kläger verpflichtete sich seine Nichte am 01.06.2016, in einem als „Privater Darlehnsvertrag“ überschriebenen Dokument, zur Rückzahlung eines zinslosen Darlehens in Höhe von 10.000,00 € mit Kleinbeträgen, welche monatlich 200,00 € nicht überschreiten dürften. Die Auszahlung der 10.899,23 € erfolgte am 02.06.2016 auf das angegebene Konto der Nichte des Klägers. Diese verwandte den Betrag in der Folgezeit zum Erwerb ihrer Eigentumswohnung.
Am 20.06.2017 übersandte der Kläger die Auszahlungsnachweise seiner Versicherung an den Beklagten. Auf eine Mitwirkungsaufforderung des Beklagten vom 05.07.2017 reichte der Kläger am 18.07.2017 weitere Versicherungsunterlagen ein. Mit Schreiben vom 13.11.2017 forderte der Beklagte den Kläger auf, weiter zu dem Versicherungsvertrag aufzuklären, welcher infolge eines Datenabgleiches mit der Zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen aufgefallen sei. Der Kläger teilte daraufhin am 06.12.2017 mit, er habe 10.000,00 € als Darlehen seiner Nichte zugewandt. Die übrigen Mittel habe er sich von seiner Nichte auszahlen lassen und in bar zurückerhalten.
Mit Schreiben vom 22.05.2018 hörte der Beklagte den Kläger zu einer Ersatzpflicht von 21.530,16 € nach § 34 SGB II wegen der Veranlassung der Auszahlung an die Nichte an. Im Übrigen wird auf den Inhalt des Anhörungsschreibens verwiesen. Mit Schreiben vom 14.06.2018 teilte der Kläger daraufhin mit, vor der Kündigung des Riestervertrages sei der Rat einer Rechtsanwältin in der „Kanzlei“ eingeholt worden. Diese habe mitgeteilt, dass der Beklagte nicht „an das Geld gehen könne“, da es sich um Schonvermögen handeln würde. Außerdem seien Teile des Darlehens zurückgezahlt worden. Die Beträge seien aber zum Teil für Anschaffungen verwandt worden.
Mit dem hier angefochtenen Bescheid vom 04.07.2018 erfolgte seitens des Beklagten die Feststellung und Geltendmachung eines Ersatzanspruches gegenüb...