Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. kein Leistungsausschluss für Ausländer in den ersten drei Monaten des Aufenthalts bei Ehegattennachzug. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
Der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 1 SGB 2 für die ersten drei Monate des Aufenthalts ist bei einem Familiennachzug eines ausländischen Ehegatten zu seinem deutschen Ehegatten nicht anwendbar.
Tenor
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Ehemann, Herrn XY, ab 15. März 2012 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II in gesetzlich vorgesehenem Umfang bis einschließlich 30. Juni 2012 zu gewähren.
Der Antragsgegner hat die Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
I
Die Antragstellerin begehrt mit ihrem am 11. April 2012 beim Sozialgericht Frankfurt am Main eingegangenen Antrag, den Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes zu verpflichten, ihr als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft mit ihrem Ehemann, Herrn XY, ab Antragstellung auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II) die genannten Leistungen zu gewähren
Die 1985 geborene Antragstellerin ist iranische Staatsangehörige. Aus der Verwaltungsakte des Antragsgegners ergibt sich u. a., dass sie am 10. März 2012 im Wege des Familiennachzuges zu ihrem Ehemann in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Herr XY, der auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt, bezieht seitens des Antragsgegners seit 12. November 2011 SGB II-Leistungen in Form des Regelbedarfs. Seit Monat Januar 2012 übernimmt der Antragsgegner für die von ihm innegehaltene Wohnung in der A-Straße in A-Stadt auch die Kosten der Unterkunft in Höhe seiner tatsächlichen Aufwendungen. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bewilligte der Antragsgegner bis einschließlich 30. April 2012.
Am 15. März 2012 sprach die Antragstellerin mit ihrem Ehemann bei dem Antragsgegner vor und stellte Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II.
Am 23. März 2012 beantragte der Ehemann der Antragstellerin die Weiterbewilligung der ihm gewährten Leistungen über den 30. April 2012 hinaus und gab ausweislich des Antragsformulars an, die Antragstellerin sei am 10. März 2012 in seine Wohnung eingezogen. Die Antragstellerin sei im 7. Monat schwanger.
Daraufhin bewilligte der Antragsgegner dem Ehemann der Antragstellerin durch Bescheid vom 29. März 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Mai 2012 bis 31. Oktober 2012 unter Berücksichtigung des Regelbedarfs eines alleinstehenden Hilfebedürftigen, übernahm jedoch ausweislich des Berechnungsbogens nunmehr lediglich den hälftigen Anteil der Unterkunftskosten. In dem genannten Bewilligungsbescheid heißt es u. a. weiter, die nach den vorliegenden Angaben zugezogene Antragstellerin werde vorerst als zusätzliche Person im Haushalt berücksichtigt. Solle sie in die Bedarfsgemeinschaft aufgenommen werden, so habe der Ehemann der Antragstellerin dies gegenüber dem Antragsgegner ergänzend anzugeben.
Gegen den Bescheid vom 29. März 2012 legte der Ehemann der Antragstellerin am 3. April 2012 Widerspruch ein.
Durch Bescheid vom 16. April 2012 lehnte der Antragsgegner den Antrag der Antragstellerin vom 15. März 2012 mit der Begründung ab, sie sei von der Leistung ausgeschlossen. Die Antragstellerin sei Ausländerin, die weder in Deutschland Arbeitnehmerin oder Selbstständige noch aufgrund des § 2 Abs. 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sei. Folglich sei sie für die ersten 3 Monate ihres Aufenthalts vom Leistungsbezug ausgenommen. Hiervon würden auch Familienangehörige erfasst, die zu einem Deutschen einreisen.
Zur Begründung ihres Antrags auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes trägt die Antragstellerin vor, von dem dreimonatigen Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB II seien nach der Rechtsprechung Familienangehörige nicht erfasst, die zu einem im Bundesgebiet länger aufenthaltsberechtigten Ausländer oder Deutschen einreisen. Sie bilde mit ihrem Ehemann eine Bedarfsgemeinschaft. Gegen den Ablehnungsbescheid vom 16. April 2012 habe sie Widerspruch eingelegt. Sie sei einkommens- und vermögenslos. Sie sei erstmals im März 2012 nach Deutschland eingereist, habe hier noch nie gearbeitet und habe folglich auch keinen Anspruch auf Mutterschaftsgeld. Bei Schaffung der vorgenannten Vorschrift habe der Gesetzgeber diejenigen Unionsbürger im Blick gehabt, die von ihrem voraussetzungslosen Aufenthaltsrecht Gebrauch machten. Darüber hinaus sei nicht ersichtlich, weshalb Ausländer, die zu deutschen Familienangehörigen nachziehen, schlechter gestellt werden sollten als Ausländer mit einem humanitären Aufenthalt. Die Vorschrift sei daher einschränkend auszulegen, anderenfalls sei sie verfassungswidrig. Hinzu komme, dass bei ihr eine fortges...