Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialversicherungspflicht bzw -freiheit. Vertretungsärztin eines niedergelassenen Arztes. Haupteinkommen aus der Tätigkeit als angestellte Krankenhausärztin in Teilzeit. eigene Berufshaftpflichtversicherung. abhängige Beschäftigung. selbstständige Tätigkeit
Orientierungssatz
Zur sozialversicherungsrechtlichen Beurteilung einer Tätigkeit als Vertretungsärztin in der Praxis eines niedergelassenen Arztes (hier: Überwiegen der Merkmale einer selbständigen Tätigkeit).
Nachgehend
Tenor
1. Die Bescheide der Beklagten vom 18.09.2015 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 08.02.2016 werden aufgehoben und es wird festgestellt, dass die Tätigkeit der Klägerin zu 2. für die Klägerin 1. nicht als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt wird.
2. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen zu tragen.
3. Die Sprungrevision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über den sozialversicherungsrechtlichen Status der Klägerin zu 2 als Vertretungsärztin.
Am 11. März 2015 ging ein Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status bei der Beklagten ein. In dem Antrag wird angegeben, dass die Klägerin zu 2 neben der hier zu beurteilenden Tätigkeit als angestellte Oberärztin im Krankenhaus tätig sei. Hierfür liege eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht vor (Bl. 3 VA). Die Klägerin zu 2 übernehme vorübergehende (Urlaubs-) Vertretung als Ärztin in der Praxis der Klägerin zu 1.
In der Anlage zum Antragsformular wird angegeben, dass keine Kontrolle und Vorgaben erfolgten, sondern ein eigenständiges Arbeiten der Klägerin zu 2. Keine regelmäßigen Arbeitszeiten. Telefonische Vereinbarung der Urlaubsvertretung und Termine. Die Tätigkeit werde in den Praxisräumen der Klägerin zu 1 ausgeführt. Es erfolge keine Eingliederung in die Arbeitsorganisation der Klägerin zu 1. Die Klägerin zu 2 trage ein unternehmerisches Risiko aufgrund der bestehenden eigenen Berufshaftpflichtversicherung und der Teilnahme an Fortbildungen. Sie stelle ihre eigene Arbeitskleidung. Das unternehmerische Risiko bestünde auch im Hinblick auf einen krankheitsbedingten Ausfall.
Mit Schreiben vom 16. März 2015 wandte sich die Beklagte an die Klägerinnen (Bl. 10, 11 VA).
Die Klägerin zu 1 teilte mit, dass eine Vertretung bei Abwesenheit eines Praxispartners wegen Urlaub oder Krankheit ausgeübt werde. Es lägen keine besonderen Beschränkungen vor, die Klägerin zu 2 handele nach denselben Kriterien wie die Praxispartner der Klägerin zu 1 gegenüber den Patienten der Praxis. Es würden von der Klägerin zu 2 keine eigenen Betriebsmittel verwendet; sie stelle lediglich ihre eigene Arbeitskleidung. Die Schutzkleidung für die Endoskopie werde von der Praxis gestellt. Es stünden alle Einrichtung der Praxis zur Verfügung. Die Klägerin zu 2 unterhalte eine eigene Haftpflichtversicherung. Sie sei angestellte Krankenhausärztin in Teilzeit, eine eigene Praxistätigkeit bestehen nach Kenntnis der Klägerin zu 1 nicht.
Vorgelegt wurden des Weiteren mehrere Rechnungen für den Zeitraum 19. Februar 2013 bis 31. Dezember 2014 (Bl. 35 VA).
Die Klägerin zu 2 führte aus, dass sie die Tätigkeit bereits aufgenommen habe. Es lägen keine besonderen Beschränkungen vor. Sie habe vollständige Handlungsfreiheit in der Diagnostik und Behandlung der Patienten. Sie stelle ihre eigene Arbeitskleidung. Die Arbeitsgeräte in den Praxisräumlichkeiten stünden zur Verfügung.
Sie habe eine eigene Berufshaftpflichtversicherung für Praxisvertretungen. Sie sei angestellte Oberärztin in Teilzeit (50 % seit Beendigung der Elternzeit).
Sie stehe der Gemeinschaftspraxis nicht als ständige Vertretung, sondern nur nach Anfrage zur Verfügung. Die Termine würden kurzfristig telefonisch oder via E-Mail abgesprochen. Über die Zusage zu Terminanfragen, welche mit ihrer Hauptbeschäftigung oder ihrer familiären Situation konkurrieren, entscheiden sie frei und eigenständig. Ihren Urlaub planen sie ohne Rücksprache/ Terminabsprache mit den Praxisinhabern.
Praxisbedingte Ausfälle ihrerseits würden nicht vergütet (Bl. 36, 37 VA).
Mit Schreiben vom 13. Juli 2015 hörte die Beklagte die Klägerinnen dahingehend an, dass beabsichtigt sei, für die Tätigkeit der Klägerin zu 2 als Vertretungsärztin bei der Klägerin zu 1 vom 25. Januar 2013 bis 5. Dezember 2014 einen Bescheid über das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung zu erlassen. Es sei beabsichtigt, die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung festzustellen. (Bl. 62, 64 VA).
Im Anhörungsverfahren wurde ausgeführt, dass die Klägerin zu 2 jeweils in Vertretungsfällen für die Klägerin zu 1 tätig geworden ist. Die jeweils vertretenen Partner seien in der Praxis wegen Urlaub, Erkrankung oder Fortbildung nicht anwesen...