Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Höhe und Berechnung des Krankengeldes. freiwillig versicherter hauptberuflich selbständiger Erwerbstätiger. Ermittlung des Arbeitseinkommens. widerlegbare Vermutung des § 47 Abs 4 S 2 SGB 5. keine rückwirkende Korrektur nach Vorlage eines Steuerbescheides, wenn bereits über die Höhe des Krankengeldes entschieden worden ist
Orientierungssatz
1. Bei freiwillig versicherten hauptberuflich Selbstständigen ist das Krankengeld nach § 47 Abs 4 S 2 SGB 5 nur im Sinne einer widerlegbaren Vermutung nach dem Regelentgelt zu berechnen, das dem Betrag entspricht, aus dem zuletzt vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit Beiträge entrichtet worden sind. Die Vermutung kann demnach widerlegt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass dieses Einkommen erkennbar nicht der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation des Versicherten vor Eintritt der Arbeitsunfähigkeit entspricht, weil sein tatsächliches Arbeitseinkommen wesentlich geringer war.
2. Die Ermittlung des Arbeitseinkommens erfolgt nach den Grundsätzen des Einkommensteuerrechts. Liegt der Beitragsbemessung ein vom Finanzamt erlassener Einkommensteuerbescheid zugrunde, ist die konkrete Höhe des Arbeitseinkommens grundsätzlich diesem Bescheid zu entnehmen, und zwar auch dann, wenn der Steuerbescheid nicht das Kalenderjahr betrifft, das dem Jahr, in dem die Arbeitsunfähigkeit eintritt, unmittelbar vorausgeht (vgl BSG vom 6.11.2008 - B 1 KR 28/07 R = SozR 4-2500 § 47 Nr 10). Liegt kein Steuerbescheid vor, dem der Gewinn entnommen werden kann, muss die Krankenkasse das Arbeitseinkommen selbst ermitteln (vgl BSG vom 24.7.2009 - B 1 KR 85/08 B).
3. Die Vermutung des § 47 Abs 4 S 2 SGB 5 ist zwar auch zugunsten des Versicherten widerlegbar, also der Nachweis höherer Einnahmen möglich, aber nur dann, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über den Krankengeldanspruch konkrete Anhaltspunkte vorliegen, dass das Einkommen nicht dem der Beitragsbemessung zugrundeliegenden Einkommen entspricht (vgl SG Koblenz vom 18.9.2019 - S 11 KR 607/18).
4. Eine rückwirkende Korrektur der Krankengeldberechnung nach Vorlage eines entsprechenden
Steuerbescheides ist unzulässig, wenn bereits über die Höhe des Krankengeldes entschieden worden ist. Dies ergibt sich auch aus dem Willen des Gesetzgebers im Rahmen der Änderung des § 240 SGB 5 im Jahr 2018.
5. Az beim LSG Darmstadt: L 8 KR 223/23.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Höhe des der Klägerin gewährten Krankengeldes.
Die Klägerin ist 1994 geboren und seit dem 1. Juni 2020 als hauptberuflich selbstständige Kindertagespflegeperson bei der Beklagten freiwillig versichert mit dem Anspruch auf Krankengeld ab der 7. Woche der Erkrankung. Im Erhebungsbogen gab sie an, dass sie für ihre selbstständige Tätigkeit noch keinen Einkommenssteuerbescheid erhalten habe und ihre Bruttoeinkünfte monatlich 744,00 Euro betragen würden.
Ab dem 12. Januar 2021 wurde ihr von ihrem behandelnden Arzt Arbeitsunfähigkeit attestiert. Am 12. Februar 2021 beantragte sie bei der Beklagten Krankengeld und gab an, dass ihre monatlichen Einnahmen 2.251,53 Euro betragen würden. Das Formular der Beklagten, das die Klägerin für ihren Antrag nutzte, enthielt unter Ziff. 2, der Höhe des Arbeitseinkommensausfalls wegen der aktuellen Arbeitsunfähigkeit, folgenden Hinweis: „Bitte fügen Sie entsprechende Belege (z.B. Bestätigung Steuerberater) bei, die ihre Angaben belegen. Belege für ihr Einkommen fügte die Klägerin dem Antrag jedoch nicht bei.
Mit Bescheid vom 9. April 2021 gewährte die Beklagte der Klägerin ab dem 23. Februar 2021 ein kalendertägliches Krankengeld von 17,36 Euro brutto und 15,49 Euro netto.
Die Klägerin legte am 3. Mai 2021 Widerspruch ein. Sie gab an, dass das Krankengeld zu niedrig berechnet sei. Die Beklagte habe den Monat mit dem niedrigsten Einkommen zugrunde gelegt und nicht eine Durchschnittsberechnung der letzten drei Monate vorgenommen. Sie legte eine (selbst erstellte) Tabelle mit ihren Einkünften für die Monate Juni 2020 bis Januar 2021 vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 6. August 2021 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück. Die Klägerin habe zu Beginn ihrer selbstständigen Tätigkeit angegeben, dass ihr monatliches Einkommen 744,00 Euro betrage. Dies sei für die Beitragsberechnung zugrunde gelegt worden. Das Krankengeld sei korrekt berechnet worden.
Die Klägerin hat am 23. Juni 2019 Klage erhoben.
Zur Begründung wiederholt sie ihr Vorbringen aus dem Verwaltungsverfahren.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 9. April 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6. August 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin für die Erkrankung ab dem 12. Januar 2021 unter Neuberechnung der Einkommensgrundlage Krankengeld in gesetzlicher Höhe und Dauer zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen in den angefochtenen Besche...