Leitsatz (amtlich)
(Vertragsärztliche Versorgung - Gesamtvergütungsvereinbarung - Bindungswirkung - gerichtliche Überprüfung - Normsetzungsvertrag - Nichtigkeitsgründe aus § 58 SGB 10 - Vertragsformverbot - Vertragsinhaltsverbot - Grundsatz der Beitragssatzstabilität - Regelungen zur Vermeidung von Überschreitungen des Betrages des Ausgabenvolumens für Einzelleistungen)
Orientierungssatz
1. Die Bindungswirkung nach § 83 Abs 1 S 1 SGB 5 schließt es grundsätzlich aus, dass die Krankenkasse im Streit mit der Kassenärztlichen Vereinigung die Vereinbarkeit einer Gesamtvergütungsvereinbarung mit den diesbezüglichen gesetzlichen Vorgaben überprüfen lassen kann. Die einzelne Krankenkasse kann danach im Rechtsstreit mit der Kassenärztlichen Vereinigung grundsätzlich auch keine gerichtliche Überprüfung der auf sie entfallenden Gesamtvergütung erreichen (vgl BSG vom 28.9.2005 - B 6 KA 71/04 R = BSGE 95, 141 = SozR 4-2500 § 83 Nr 2 RdNr 18; BSG vom 28.9.2005 - B 6 KA 72/04 R; LSG Stuttgart vom 3.4.2007 - L 5 KA 560/07 ER-B = juris RdNr 83).
2. Im Einzelnen handelt es sich bei den Gesamtvergütungsvereinbarungen um so genannte Normsetzungsverträge, durch die unmittelbare Rechtswirkungen auch gegenüber den nicht am Vertragsschluss Beteiligten und damit im vorliegenden Zusammenhang auch gegenüber den einzelnen Krankenkassen begründet werden (vgl BSG vom 28.9.2005 - B 6 KA 71/04 R aaO RdNr 24).
3. Nichtigkeitsgründe könnten sich nur aus § 58 SGB 10 ergeben, weil der Gesamtvertrag - ungeachtet seiner (auch) normativen Wirkung gegenüber am Vertragsschluss nicht beteiligten Dritten - ein öffentlich-rechtlicher Vertrag im Sinne der §§ 53ff SGB 10 ist. Koordinationsrechtliche öffentlich-rechtliche Verträge im Sinne von § 53 Abs 1 S 1 SGB 10, zu denen auch Gesamtverträge gehören, können nach § 58 Abs 1 SGB 10 nichtig sein, wenn sich die Nichtigkeit aus der entsprechenden Anwendung von Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) ergibt.
4. Verbote, die iSd § 134 BGB zu einer Nichtigkeit öffentlich-rechtlicher Verträge führen, können dabei in zweierlei Hinsicht bestehen: einmal als Vertragsformverbot in dem Sinne, dass zwingende Rechtsnormen bestehen, die den Abschluss eines Vertrages im Sinne einer Regelung der in Frage stehenden Angelegenheit durch Vertrag schlechthin verbieten, und zum anderen im Sinne eines Vertragsinhaltsverbotes in dem Sinne, dass die Rechtsordnung den Inhalt des Vertrages als solchen, insbesondere die Herbeiführung des mit dem Vertrag bezweckten Erfolges bzw das Erreichen des mit ihm bezweckten Zieles schlechthin verbietet (vgl BSG vom 28.9.2005 - B 6 KA 71/04 R aaO; LSG Stuttgart vom 3.4.2007 - L 5 KA 560/07 aaO).
5. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Beitragssatzstabilität kann nur zu einer Rechtswidrigkeit, nicht aber zu einer Nichtigkeit der gesamtvertraglichen Vereinbarungen führen.
6. Ein Verstoß gegen die Vorgabe des § 85 Abs 2 S 7 SGB 5, betreffend Regelungen zur Vermeidung von Überschreitungen des Betrages des Ausgabenvolumens für Einzelleistungen, lässt die Wirksamkeit der Vereinbarung der Gesamtvergütung unberührt.
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Gerichtskosten und die Kosten der Beklagten. Ihr werden auch die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen auferlegt.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Zahlung eines Betrages von 451.328,67 Euro.
Die Beklagte schloss mit dem Beigeladenen am 17. Dezember 2001 einen Gesamtvertrag (u.a.) über die Gesamtvergütung 2002. Ausdrücklich wurde die diesbezügliche Vereinbarung dabei mit Wirkung für die Betriebskrankenkassen in Hessen und zugleich auch für Klägerin (im Rechtskreis West) getroffen. In einer Ergänzungsvereinbarung vom 20. Juni 2003 zur Anlage 1 vom 17. Dezember 2001 zum Gesamtvertrag erfolgte eine Umstellung der Berechnung der Gesamtvergütung, abweichend vom Inhalt des Vertrages vom 17. Dezember 2001, der die Berechnung der Gesamtvergütung nach einer Versichertenpauschale vorsah, wieder auf mitgliederbezogene Kopfpauschalen, und zwar auf Grund des Gesetzes zur Einführung des Wohnortprinzips bei Honorarvereinbarungen für Ärzte und Zahnärzte vom 11. Dezember 2001 (BGBl. I S. 3526); ausdrücklich wurde (auch) diese Vereinbarung mit Wirkung für die Betriebskrankenkassen, deren Mitglieder ihren Wohnsitz in Hessen haben, geschlossen. In Nr. 3 dieser Vereinbarung vom 20. Juni 2003 wurde festgehalten, wie das vorgenannte Gesetz vom 11. Dezember 2001 für den Bereich der Betriebskrankenkassen ab dem 1. Januar 2002 umgesetzt wird; danach gelten die Bestimmungen des Vertrages vom 17. Dezember 2001 in der Fassung der Ergänzungsvereinbarung vom 20. Juni 2003 auch für die Betriebskrankenkassen, die ihren Sitz außerhalb Hessens und deren Mitglieder ihren Wohnsitz in Hessen haben (WOP-Kassen genannt) (Nr. 3.1. der Vereinbarung vom 20. Juni 2003). In der Anlage B zu Nr. 3.1. der Ergänzungsvereinbarung vom 20. Juni 2003 werden Feststellungen zu den Ausgangsbeträgen je Mitglied gemäß Art. 2 §§ 1 und 2 des Gesetzes vom 11. Dezem...