Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialverwaltungsrecht: Zulässigkeit der Aufrechnung überzahlter Sozialleistungen mit Rentenansprüchen in der Wohlverhaltensphase einer Privatinsolvenz

 

Orientierungssatz

1. Eine Verrechnung überzahlter Sozialleistungen nach § 52 Abs. 2 SGB 1 stellt neben der Ausübung eines schuldrechtlichen Gestaltungsrechts zugleich eine hoheitliche Maßnahme im Sinne von § 31 SGB 10 dar (Anschluss BSG, Vorlagebeschluss vom 25. Februar 2010, Az.: B 13 R 76/09 R).

2. Jedenfalls bei Rentenansprüchen, die nicht die Pfändungsgrenze übersteigen, greift das Aufrechnungsverbot des § 114 Abs.2 InsO nicht ein.

3. Die Aufrechnung zu Unrecht ausgezahlter Rentenversicherungsleistungen mit den laufenden Rentenbezügen ist grundsätzlich auch in der Wohlverhaltensphase der Privatinsolvenz des Versicherten möglich, soweit die Aufrechnung nicht Beträge oberhalb der Pfändungsfreigrenzen betrifft (Anschluss an Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. Juli 2009, L 33 R 204/09 B).

 

Tenor

1.) Die Klage wird abgewiesen.

2.) Die Beteiligten haben einander keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte berechtigt ist, zu Unrecht erbrachte Rentenversicherungsleistungen mit dessen laufenden Rentenbezügen aufzurechnen, obwohl sich der Kläger in Wohlverhaltensphase seiner Privatinsolvenz befindet.

Der Kläger bezog ab dem 1. August 2004 eine teilweise Erwerbsminderungsrente bei Berufsunfähigkeit bei der Beklagten. Gleichzeitig bezog der Kläger Arbeitslosengeld, welches auf seine Rente anzurechnen war. Hierdurch kam es im Zeitraum vom 1. August 2004 bis 31. Januar 2005 zu Rentenüberzahlungen in Höhe von 2089,49 Euro. Mit bestandskräftigen Bescheid vom 9. Januar 2006 erfolgte eine teilweise Aufhebung des Rentenbescheides des Klägers in der vorgenannten Höhe. Nachdem die Beklagte bei der Agentur für Arbeit keinen Erstattungsanspruch realisieren konnte, erließ sie mit Datum vom 14. März 2006 einen Erstattungsanspruch gegen den Kläger, in der vorgenannten Höhe. Auch dieser Bescheid wurde bestandskräftig. Mit Bescheid vom 23. September 2008 gewährte die Beklagte dem Kläger eine volle Erwerbsminderungsrente.

Nachdem die Beklagte im Jahr 2009 bereits einmalig einen Betrag von 5,67 Euro mit den laufenden Rentenzahlungen des Klägers aufgerechnet hatte, hörte sie den Kläger zu einer weiteren Aufrechnung des verbleibenden Überzahlungsbetrages an. Am 23. Februar 2010 reichte der Kläger eine Bescheinigung des Sozialamts F. vom gleichen Tag zu seinem Bedarf nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) zur Verwaltungsakte der Beklagten. Dieser betrug gemäß der Berechnung des Sozialamts F. monatlich 670,95 Euro als Summe des Regelsatz für Alleinstehende und der berücksichtigungsfähigen Kosten der Unterkunft und Heizung. Mit Bescheid vom 4. März 2010 rechnete die Beklagte beginnend ab dem 1. April 2010 einen monatlichen Betrag in Höhe von 87,26 Euro auf die Rente des Klägers welche einen Auszahlbetrag von 758,21 Euro hatte, gemäß § 51 Abs.2 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) zur Begleichung der vom Kläger geschuldeten 2083,82 Euro auf. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17. Juni 2010 zurück.

Mit der am 16. Juli 2010 eingelegten Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter, dass eine Aufrechnung mit seiner Rente nicht möglich sei. Der Kläger trägt vor, dass am 8. Mai 2007 über sein Vermögen ein Privatinsolvenzverfahren eröffnet worden sei. Die Beklagte habe ihre Forderung zur Insolvenztabelle angemeldet. Das Amtsgericht F. habe diese im Ergebnis der Forderungsprüfung am 2. August 2007 festgestellt. Er selbst befinde sich derzeit in der Wohlverhaltensperiode.

Der Kläger argumentiert, dass die Aufrechnung der Beklagten rechtswidrig sei, da keine Aufrechnungslage im Sinne des § 387 BGB bestehe. Im Übrigen verstoße die Aufrechnung gegen die Vorschriften der Insolvenzordnung. Eine Privilegierung der Beklagten als Sozialversicherungsträger gegenüber den anderen Gläubigern sei systemwidrig, da sie gegen den Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung verstoße.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 1. April 2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Juni 2010 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte verweist darauf, dass die Aufrechnung der zu Unrecht gezahlten Rentenversicherungsleistungen unter Beachtung der gesetzlichen Vorschriften geschehe. Die Privatinsolvenz des Klägers stehe einer Verrechnung nicht entgegen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten und die Gerichtsakte, die Gegenstand der Beratung und Entscheidung waren, Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Das Gericht durfte ohne mündliche Verhandlung über den Rechtsstreit entscheiden, weil die Beteiligten sich zuvor mit dieser Verfahrensweise einverstanden erklärt hatten (§ 124 Abs.2 SGG).

1.

Die Klage ist zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet, da die angefochten...

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