Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe zum Lebensunterhalt. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Anwendbarkeit auch auf Drittstaatsangehörige ohne materielles Aufenthaltsrecht. keine Leistungsgewährung nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12. Nichtübertragbarkeit der Rechtsprechung des BSG auf Drittstaatsangehörige. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
1. Ausländer aus Nicht-EU-Staaten, die in der Bundesrepublik über kein Aufenthaltsrecht verfügen und keine Asylbewerber sind, haben keinen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII. § 23 Abs 3 S 1 SGB XII gilt im Wege des "Erst-recht-Schlusses" auch für Nicht-EU-Ausländer, denen gar kein Aufenthaltsrecht (mehr) zusteht.
2. Die neuere Rechtsprechung des BSG zum Sozialhilfeanspruch für EU-Bürger, denen kein Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche nach den europarechtlichen Freizügigkeitsregelungen (mehr) zusteht (vgl BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R = SozR 4-4200 § 7 Nr 43 und B 4 AS 59/13 R = SGb 2016, 93), ist auf Nicht-EU-Bürger ohne Aufenthaltsrecht nicht übertragbar. Denn diese Rechtsprechung basiert auf der Fortwirkung eines ursprünglich bzw zumindest theoretisch gegebenen Aufenthaltsrechts aufgrund der europarechtlichen Freizügigkeit, in deren Genuss Nicht-EU-Bürger von vorneherein gar nicht kommen können.
3. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Leistungsausschluss des § 23 Abs 3 S 1 SGB XII einen Nachrang des deutschen Sozialsystems gegenüber dem des Herkunftslandes des betroffene Ausländers normiert; auch wenn der dortige Standard vom deutschen abweicht.
Orientierungssatz
Aktenzeichen beim LSG Stuttgart: L 7 SO 2937/16 ER-B
Tenor
1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Verfahren in erster Instanz und auf Beiordnung von Herrn Rechtsanwalt … vom 11.7.2016 wird abgelehnt.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten über die vorläufige Gewährung existenzsichernder Leistungen nach dem SGB XII.
Die am … 1983 in geborene, geschiedene Antragstellerin ist serbische Staatsangehörige. Sie lebte zunächst in Serbien, danach neun Jahre in Österreich. Sie verfügt über eine Daueraufenthaltsgenehmigung für Österreich.
Nach ihren Angaben reiste sie am 15.10.2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und hielt sich zunächst in F. auf. Vom 7.1. - 13.3.2016 war sie in V. gemeldet. Am 14.3.2016 zog sie von V. wieder nach F., wo sie sich seither aufhält.
Die Antragstellerin ist nach ihren Angaben schwanger und erwartet die Geburt ihres Kindes im August 2016. Der Vater des Kindes lebe ebenfalls in F.. Er sei Asylbewerber und in einer entsprechenden Unterkunft untergebracht.
Am 8.4.2016 und erneut am 23.5.2016 beantragte die Antragstellerin die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII bei der Antragsgegnerin.
Sie wohnt seit dem 9.6.2016 in einer städtischen Unterkunft für Wohnungslose, für die eine Benutzungsgebühr von monatlich 175,00 € zu entrichten ist.
Mit Bescheid vom 29.6.2016 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Die Antragstellerin verfüge über kein Aufenthaltsrecht in Deutschland (mehr). Dieses habe lediglich für 90 Tage nach der Einreise bestanden. Ein gültiger Aufenthaltstitel liege seitdem nicht vor. Damit sei die Antragstellerin nach § 23 SGB XII vom Sozialhilfebezug ausgeschlossen.
Gegen diese Entscheidung legte die Antragstellerin am 11.7.2016 Widerspruch ein, über den die Antragsgegnerin noch nicht entschieden hat.
Ebenfalls am 11.7.2016 hat die Antragstellerin den vorliegenden Eilantrag beim Sozialgericht Freiburg gestellt. Gleichzeitig beantragte sie die Gewährung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung ihres Bevollmächtigten als Rechtsanwalt. Sie beruft sich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteile vom 3.12.2015, B 4 AS 44/15 R und B 4 AS 59/13 R - juris), nach der vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II betroffene EU-Bürger einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII haben können. Dies gelte auch für sie, obwohl sie keine EU-Bürgerin sei. Denn das Bundessozialgericht habe in den genannten Entscheidungen ausdrücklich festgehalten, dass der genaue Aufenthaltsstatus für den Anspruch auf Sozialhilfe nicht relevant sei. Sie sei auch nicht nach Deutschland eingereist, um Sozialhilfe zu erlangen, sondern um ihren neuen Lebensgefährten (und nunmehr Vater ihres Kindes) zu besuchen. Sie habe sich dann entschieden, bei ihm in Deutschland zu bleiben. Sie habe sich auch um eine Arbeitsstelle beworben, sei aber nicht eingestellt worden. Eine Rückkehr nach Österreich oder in ihr Heimatland Serbien sei wegen ihrer Schwangerschaft und mangels eines tragfähigen sozialen Netzes dort (keine Freunde oder Familie) nicht zumutbar.
Die Antragstellerin beantragt, teilweise sinngemäß,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr vorläufig Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB ...