Entscheidungsstichwort (Thema)
Bestimmung des Leistungsfalles bei Absinken des quantitativen Restleistungsvermögens von unter sechs Stunden auf unter drei Stunden arbeitstäglich. Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes
Leitsatz (amtlich)
1. Für den Leistungsfall "volle Erwerbsminderung" ist erforderlich und zugleich ausreichend, dass ein Versicherter auf Grund eines konkreten Ereignisses in seinem Leben, gegen dessen Nachteile er durch die Rentenversicherung geschützt werden soll, nicht mehr in der Lage ist, seinen Lebensunterhalt auch nur teilweise durch die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zu bestreiten.
2. Sinkt das quantitative Restleistungsvermögen von unter sechs Stunden auf unter drei Stunden arbeitstäglich, liegt bei Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarktes kein neuer Leistungsfall vor ("konkrete Betrachtungsweise").
Orientierungssatz
1. Zum Leitsatz 2: Anschluss an LSG Berlin-Potsdam vom 10.6.2010 - L 21 R 1203/07; vgl BSG vom 29.11.1990 - 5/4a RJ 41/87 = juris RdNr 27.
2. Als Gewohnheitsrecht stellt das Rechtsinstitut der Arbeitsmarktrente eine auf gleichem Rang wie das Gesetz stehende Rechtsquelle dar. Die Anwendung dieses Rechtsinstituts verstößt nicht gegen § 31 SGB 1, auch wenn sich dies (wie hier) im Einzelfall tatsächlich ausnahmsweise zu Lasten des Versicherten auswirkt.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab November 2010 an die Klägerin.
Die 1954 geborene Klägerin ist seit dem 16.07.2009 anerkannt schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 40. Sie war zuletzt im Oktober 1994 als Küchenhilfe versicherungspflichtig beschäftigt und verfügte im Anschluss daran bis Februar 2006 über keinerlei eigenen Einkünfte. Seit März 2006 steht die Klägerin im durchgängigen Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).
Nachdem die Klägerin im Anschluss an ihren Verlust des letzten Arbeitsplatzes erstmals bei der Beklagten die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente beantragt hatte und dieser Antrag durch die Beklagte abgelehnt worden war, gewährte die Beklagte der Klägerin im Wege eines gerichtlichen Vergleiches eine stationäre Rehabilitationsmaßnahme, die vom 14.11.1997 bis 12.12.1997 in der Z.-Klinik in B. durchgeführt wurde. Die Klägerin wurde hieraus als erwerbsfähig für Tätigkeiten unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem zeitlichen Umfang von täglich sechs Stunden und mehr entlassen.
Am 03.01.2007 stellte die Klägerin bei der Beklagten erneut einen Antrag auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente, da sie wegen verschiedener Erkrankungen keinerlei Tätigkeiten mehr verrichten könne. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 25.01.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.07.2007 ab, da die Klägerin weder erwerbsgemindert sei noch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente erfüllt seien. Die gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) erforderliche 3/5-Belegung setze den Eintritt eines Leistungsfalles spätestens Ende November 1996 voraus. Die Klägerin erhob daraufhin am 21.08.2007 erneut eine Klage zum Sozialgericht Freiburg, die unter dem Aktenzeichen S 6 R 4471/07 geführt wurde. Im gerichtlichen Verfahren wurde unter anderem Beweis erhoben durch Einholung eines fachpsychiatrischen Gutachtens, das am 31.10.2008 durch Dr. Dipl.-Psych. S., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie in F., erstellt wurde. Der Sachverständige kam dabei zu dem Ergebnis, dass sich die psychische Erkrankung der Klägerin in den letzten Jahren deutlich verschlechtert und chronifiziert habe. Ausgehend von den Diagnosen einer differenzierten Somatisierungsstörung, einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung sowie einer mittelgradigen depressiven Episode mit somatischem Syndrom schätzte Dr. Dipl.-Psych. S. das quantitative Restleistungsvermögen der Klägerin auf maximal vier Stunden täglich für körperlich leichte Tätigkeiten ein. Mit einer grundlegenden Besserung der Beschwerden sei nicht zu rechnen. Diese aktuell bestehenden Beschwerden bestünden in diesem Ausmaß vermutlich seit einigen Jahren, ohne dass es möglich sei, einen genauen Zeitpunkt anzugeben.
Im Wesentlichen auf dieses Gutachten gestützt wies die 6. Kammer des Sozialgerichts Freiburg durch Urteil vom 13.07.2009 die Klage ab. Die Klägerin sei zwar auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur noch unter sechs Stunden täglich leistungsfähig. Der Leistungsfall sei jedoch nicht bis spätestens Ende November 1996 nachgewiesen, zumal die Kammer davon ausgehe, dass der Leistungsfall erst deutlich später eingetreten sei. Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente seien damit nicht erfüllt. Die am 11.09.2009 zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegte Berufung wurde unter dem Aktenzeichen L 9 R 4385/09 durch Beschluss vom 30.09....